Interview mit Andreas Bengesser, Leiter des Forschungszentrums Soziale Arbeit

Was ist der Schwerpunkt Ihres Forschungszentrums?

Unser Schwerpunkt ist, dass wir keinen Schwerpunkt haben. Es ist nicht so, wie man vielleicht als Außenstehender denkt: Soziale Arbeit, da setzt man sich mit Menschen mit Problemlagen auseinander. In Wirklichkeit sind wir sehr breit aufgestellt - mit einer hohen Spezialisierung. Wir haben sehr viele unterschiedliche Studiengänge: Soziale Arbeit, Elementarpädagogik, Sozialwirtschaft, Kinder- und Familienzentrierte Soziale Arbeit, Sozialraumforschung.

Ich selbst habe in Ökonometrie dissertiert und ich bin sozusagen Hardcore Statistiker. Ich vermittle einerseits in der Lehre quantitative Forschungsmethoden und arbeite andererseits viel mit quantitativen Daten. Mein Steckenpferd ist die Wirkungsmessung. Das ist oft sehr, sehr schwierig, weil man die Dinge nicht so leicht messen kann.

Für die Wirkungsmessung von sozialen Maßnahmen schaffen wir künstliche Parallelwelten.
Andreas Bengesser

Andreas Bengesser

Leiter des Forschungszentrums Soziale Arbeit

Wir haben mit dem Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie ein Projekt über unterschiedliche Gemeinwesen durchgeführt. Es ging darum, wie sich Projekte wie Parkbetreuung oder Gemeinschaftsgärten auf die Kriminalität auswirken, ob es zu einem Rückgang der Delikte kommt. 

Hier muss man künstliche Kontrollregionen schaffen, sogenannte synthetische Kontrollgruppe. Das sind komplexe statistische Verfahren. 

Da man nicht sagen kann, wie hätte sich die bestimmte Region ohne die Maßnahmen entwickelt, kreiert man sozusagen eine Parallelwelt. Diese Parallelwelt zu finden und zu beschreiben, ist meine Aufgabe. 

Wenn ich die Parallelwelt auf Projekte mit Menschen anwende, wäre ein Pendant die psychische Gesundheit. Eine Gruppe von Menschen bekommt eine bestimmte Behandlung. Wie entwickelt sich das? Da wäre es interessant zu wissen, was wäre gewesen, wenn diese Menschen nicht diese Behandlung gehabt hätten. Hier versuche ich, Menschen zu finden, die sehr ähnlich sind. Es gibt den Begriff der statistischen Zwillinge. Mit dieser Gruppe wird dann verglichen. Dann schauen wir, wie sind die Veränderungen innerhalb der Personen, die keine Behandlung hatten? Wie war das bei den anderen? Wie verändert sich das? Das ergibt die Differenzschätzung und so komme ich auf mögliche kausale Zusammenhänge. 

An welchen Leuchtturmprojekten forschen Sie derzeit?

Da wir so viele Forschungsprojekte in unseren unterschiedlichen Bereichen haben, will ich nicht von einem Leuchtturmprojekt sprechen. Wir begleiten und evaluieren sozialarbeiterische Projekte und ein wichtiger Bereich bei uns ist die Forschung der Auswirkungen sozialer Projekte auf die Gesellschaft. 
 
Für die Soziale Arbeit gibt es in Österreich keine universitäre Ausbildung. Das heißt, wir sollten auch die Möglichkeit haben, Grundlagenforschung durchführen zu können. Dafür bräuchte es ein langfristiges Budget aus den Fördermitteln des Bundes.

Welche Rolle spielt der Nachhaltigkeitsgedanke bei Ihrer Forschung?

Vor allem der Aspekt der sozialen Nachhaltigkeit spielt bei uns eine sehr große Rolle. Wir wollen Inklusion von Menschen, die Nachteile in der Gesellschaft haben, ermöglichen und festigen. Zusätzlich haben wir einen eigenen Studiengang, der sich explizit mit Nachhaltigkeit beschäftigt, nämlich das Masterstudium Sozialwirtschaft.

Welche Themen werden Sie in Zukunft beschäftigen?

Ich glaube, dass es gerade angesichts der weltpolitischen Lage wieder zurück zu den alten Fragen der Sozialarbeit gehen wird. Ich denke, wir werden uns mit den klassischen Verteilungsfragen, wie etwa der Verteilung von knapper werdenden Ressourcen, beschäftigen.


Zum Forschungszentrum

Forschungszentrum Soziale Arbeit