Künstlerischer Dialog über Vielfalt in der FH Campus Wien-Ausstellung

Kunst und Vielfalt sind untrennbar miteinander verbunden. Schier unendliches Farbspektrum, unfassbar breite Stil-Palette – ein wunderbarer, großer Reichtum. Diesen scheinen wir in anderen Bereichen weniger zu schätzen, auch wenn er lebensnotwendig ist. Genetische, Bio- oder soziale Diversität, wie sehr ist der Mensch bereit, Vielfalt zu opfern? Kaum ein anderes Thema, wie die Sorge um die Zukunft unseres Planeten und welche Bedingungen künftige Generationen vorfinden, beschäftigt und bewegt Jugend und ältere Generationen gleichermaßen. Die FH Campus Wien zeigt in der aktuellen Ausstellung Gedanken junger nationaler und internationaler Künstler*innen zum komplexen Thema Vielfalt. Gemeinsames Nachdenken und Diskussion zum Thema ist erwünscht. Die Ausstellung ist bis Mai 2023 zu den Öffnungszeiten der FH kostenfrei öffentlich zugängig.

Finden Sie hier Eindrücke von der Vernissage am 14. September 2022.

Von Vielfalt und Eintönigkeit, Nachhaltigkeit und dem menschlichen Fußabdruck

Die Ausstellung stellt die Vielfalt als Grundlage unseres Lebens in den Mittelpunkt. Die Mannigfaltigkeit der Natur mit ihren Arten, Lebensräumen, Ökosystemen und genetischen Informationen ist Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung. Diese große Ressource scheinen wir allerdings ökonomischen Sicht- und Handlungsweisen unterordnen. Schaffen wir den nötigen Richtungswechsel? Was bedeutet nachhaltig wirtschaften? Und wie sieht es mit Vielfalt in unserer Gesellschaft aus?

Fragen, für die es drängt, Antworten zu finden, und für deren Lösungsansätze interdisziplinärer Diskussion notwendig ist. Auf Einladung der FH Campus Wien haben sich nationale und internationale Künstler der Auseinandersetzung gestellt und zeigen mit ihren Werken ihre Gedanken dazu.

Die Künstler*innen

Linda Berger

 

Linda Berger fokussiert in ihren Arbeiten auf Aspekte des Zeigens und Verbergens. Die großformatigen, farbigen Buntstift-Tusche-Zeichnungen Hellbunt und Dunkelbunt zeigen abstrakte Geflechte, die intuitiv aus dem Prozess des Zeichnens heraus entstehen. Kombiniert wird eine schnelle Abdrucktechnik, mit der Tusche auf dem Papier verteilt wird. Das Ergebnis ist der Ausgangspunkt für die detaillierte Zeichnung mit Buntstiften, die ganze Fläche des Papiers wird zum Handlungsraum und Projektionsort. Die Werke konfrontieren uns mit der bildlichen Verdichtung der künstlerischen Lebens- und Arbeitszeit. "Ich versuche, den Denkprozess, die Bildung von Ideen und Konzepten über unsere sich ständig ändernden Interpretationen der Realität, den kreativen Prozess selbst, zu visualisieren. Das simultane Zusammensetzen der verschiedenfarbigen, vielfältigen Einzelelemente imaginiert geordnete Unordnung und lässt eine Bewegung sichtbar werden, die durch Langsamkeit entstanden ist", sagt Linda Berger über Hellbunt und Dunkelbunt.

1111 Apfelstiele verewigt Linda Berger auf einem großflächigen C-Print. Die Vielfalt in der Form ist jedem Apfelstiel immanent. Kein Stiel gleicht dem anderen. Linda Berger zur Entstehungsgeschichte des Werks: "Apfelstiele sammeln als ideelle Beschäftigung meiner persönlichen Vorliebe. Wenn ich einen Apfel esse, bleibt nur der Stiel übrig, woraufhin ich eine Obsession des Sammelns aller meiner gegessenen Apfelstiele entwickelt habe. Nach einem Jahr ist das Archiv der Stiele auf 1111 Stück herangewachsen. Diese Faszination der Unterschiede jedes einzelnen habe ich fotografisch in Originalgröße festgehalten."

Linda Berger studierte an der Hochschule für Gestaltung Pforzheim und an der Universität für angewandte Kunst in Wien. 2008 erfolgte der Umzug nach Wien, 2014 Studienabschluss mit Auszeichnung und Anerkennungspreis. Seither ist sie als selbstständige Künstlerin tätig.

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Merlin Kratky

 

Auf der Schulter getragen, so kommt die zwei Meter große Plastik von Merlin Kratky in den Ausstellungsbereich der FH Campus Wien. Imposant und schwer – ein gigantischer Knochen. Sie ist eine von mehreren Exponaten aus der Reihe Dead or Alive, gefertigt aus Beton, Stahl und Glasfaser. Kratkys Schaffen umfasst zur plastischen Arbeit mit verschiedenen Materialien zusätzlich collagehafte Malerei wie auch Fotoarbeiten. Dabei experimentiert er mit dem spannungsvollen Gegensatz von Natur, Alltagswelt sowie Kunst und scheint die Grenzen aufzulösen und zugleich neu zu definieren.

Auch wenn der Knochen an riesige Ungetüme vergangener Zeiten erinnere, solle er auf die Giganten der Jetztzeit verweisen, so Kratky in einem Interview mit der Wiener Zeitung. Er soll unseren Größenwahn der Gegenwart verdeutlichen, auf den Hang der Menschen, sich selbst so wichtig zu nehmen, alles zu vergrößern, aufzublasen. Das Stichwort Nachhaltigkeit, die Frage nach der Zukunft und unserem Footprint beschäftigt die Zusehenden bei der Betrachtung. Merlin Kratky ist überzeugt: "Metall und Beton wird es sein, was man von uns finden wird."

Als Denkanstoß gibt uns Merlin Kratky einen Text mit, der ihn auch selbst sehr bewegt. Verfasst hat diesen Künstlerkollege Andreas Rosenthal:
DIE NEUE SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT.
ES HAT SICH ETWAS EINGESCHLICHEN.
GESCHÜTZT DURCH DIE SCHATTEN DER BLINDEN FLECKEN
SCHLÜPFTE ES UNBEMERKT DURCH DAS TOR UNSERER SCHWÄCHE.
JENE SCHWÄCHE, DIE WIR STETS FÜR UNSERE GRÖSSTE STÄRKE HIELTEN.
NUN STEHT ES HIER, SEITE AN SEITE MIT UNSERER SCHÖPFUNG
UND VERHÖHNT UNS MIT SEINEM TRIUMPHIERENDEN GRINSEN.
ENDLICH AUF DEM THRON SEINER MACHT ANGELANGT,
ERMUTIGT ES UNS IN UNSEREM WAHNSINN.
ES HEISST ALLES GUT AN UNSEREM WERK,
DENN SELBST KÖNNEN WIR NICHT DARÜBER URTEILEN.
ES ZEIGT UNS, WIE WIR IMMER SEIN WOLLTEN.
ES ZEIGT UNS UNSER EIGENES PARADIES.

EIN PARADIES IN DEM DER KNOCHEN GERADE
UND DIE WELT ECKIG IST.

ANDREAS ROSENTHAL

Der gebürtige Wiener studierte ab 2007 an der Universität für angewandte Kunst Wien in der Klasse von Erwin Wurm. Es folgte eine zweijährige Assistenz im Atelier von Erwin Wurm und auch in Berlin lebte und arbeitete Merlin Kratky einige Jahre. Sein Diplom (unter Supervision von Martin Walde) erhielt er im Jahr 2012. Heute ist Wien wieder der Lebensmittelpunkt des Künstlers, wo seine Werke regelmäßig in etlichen Galerien und Kunstausstellungen zu sehen sind.

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Payer Gabriel

 

Micha Payer und Martin Gabriel sind seit 2000 als Künstlerkollektiv Payer Gabriel tätig. Schwerpunkt ihrer gemeinsamen Arbeit sind Zeichnungen. Für das Ausstellungsthema Vielfalt an der FH Campus Wien haben sie eine Auswahl an Arbeiten aus der Zeichnungsserie Apologie des Zufälligen zusammengestellt. Der Titel basiert auf der gleichnamigen Schrift des Philosophen Odo Marquard, der den Zufall als geschichtliche Notwendigkeit gegen die Absolutmachung des Menschen würdigt. Payer Gabriel haben 2017 mit dieser Zeichenserie begonnen und sie umfasst mittlerweile hunderte A4 Zeichnungen. Diese verstehen sie als Bausteine für modulare Zusammenstellungen und setzen sie immer wieder neu zusammen. „Den Zufall betrachten wir als wesentlichen Bestandteil in der Hervorbringung von Vielfalt“, so die beiden.

Eine zweite Zeichnungsserie referenziert auf Latour’s Begriff der Inskriptionen, deren Funktion es ist, über Visualisierung wissenschaftliche Evidenz zu konstruieren. "Hier geht es uns um einen Vergleich von Visualisierungsstrategien in Wissenschaft und Kunst. Vielfalt verstehen wir dabei als
Multiperspektivität."

Kosmische Zwangsläufigkeit (Melanzani), o.T. (Great Attractor), o.T. (+-), Unverbundene Bestimmungen #7, Inscriptions (paralleluniversum03), Inscriptions (Pillars Of Creation) stammen aus den Jahren 2017 bis 2019, ganz aktuell im letzten Jahr 2022 sind Inscriptions (Stillleben), Inscriptions (nr3) und die vierteilige Pigmentdruck-Serie ohne Titel entstanden.

Micha Payer ist 1979 in Wolfsberg geboren, Martin Gabriel hat seine Wurzeln (1976) in Linz. Beide studierten von 2000-2006 an der Universität für Angewandte Kunst, Transmediale Kunst bei Brigitte Kowanz. Micha Payer absolviert seit 2019 ein Doktoratsstudium für künstlerische Forschung an der Universität für Angewandte Kunst Wien. Seit 2008 werden Payer Gabriel von der Christine König Galerie, Wien vertreten, seit 2020 auch von der Galerie 3, Klagenfurt. Ihre Werke waren schon bei Ausstellungen u.a in der Albertina Wien, dem Naturhistorischen Museum Wien, dem Lentos Kunstmuseum Linz, dem Museum Moderner Kunst Klagenfurt, dem Vorarlbergmuseum Bregenz, dem Zeppelinmuseum Friedrichshafen, dem Kunstmuseum Singen und dem Folkwang Museum Essen zu sehen. 2022 erhielten sie das österreichische Staatsstipendium für bildende Kunst. Als Artists of Residence lebten und arbeiteten sie in Chicago (USA), Krumau (CZ), Montafon (AT), Friedrichshafen (DE) und Andratx (ES).

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Jakob Ferdinand Rieder

 

Der junge schweizer Künstler Jakob Ferdinand Rieder widmet sich in seiner künstlerischen Arbeit einer prozessorientierten Auseinandersetzung mit Malerei und konstruiert vornehmlich mit selbst angeriebenen Ölfarben großformatige Bilder. Rieder nutzt intensive, deckende Farben sowie spezielle Tages-Leucht-Farben, die den Bildern partiell eine künstliche Strahlkraft verleihen.

"Wenn wir Elemente visuell unserer Umwelt zuordnen, ist dies ein Denkprozess. Sehen ist Denken," sagt Rieder und weiter: "Farben entspringen nicht nur realen Orten, von welchen sich Maler in vergangener Zeit inspirieren ließen, sondern auch der digitalen Virtualität, die unsere Wahrnehmung prägt — der Standpunkt der Betrachtenden als liminal space zwischen Realität und Virtualität.
Form with or without information, with or without a referential space.
Es geht nicht um eine Auflösung, sondern um eine Setzung, die in einem Dazwischen schweben kann. Es geht um ein digitales Sehen, welches sich ständig weiterentwickelt und transformiert, die Orientierung destabilisierend.
Merging different worlds, accepting all bodies and ideas of being, infinite colour and form reflected onto one's physical body.“

Jakob Ferdinand Rieder hat für die Ausstellung an der FH Campus Wien sieben seiner Werke zusammengestellt: Vermessung eines mannigfaltigen Topos 4, A well calibrated surface for you to stand on Nr.5, A well calibrated surface for you to stand on Nr.10 ziehen mit bunter Strahlkraft in ihren Bann. Einen Schritt weiter geht Rieder mit den Bildern der Serie BIAPAR: BIAPAR02.pntg, BIAPAR03.pntg, BIAPAR05.pntg, BIAPAR06.pntg. Dabei überrascht er die Betrachtenden mit einer neuen Dimension, mit einer Augmented-Reality-Ebene – zu sehen mit der Moblie App "Artiviv". Mit dieser Verknüpfung ermöglicht er digitales Erlebnis von analoger Kunst.

Rieder ist gebürtiger Schweizer, 1987 in Zofingen geboren und aufgewachsen. Aus der Architektur kommend und mit einer abgeschlossenen Ausbildung als Hochbauzeichner absolvierte er die ZHdK, die Zürcher Hochschule der Künste, die er 2016 mit dem Bachelor of Fine arts abschloss. Er lebt und wirkt in Basel und Solothurn, wo seine Werke regelmäßig in Ausstellungen und Galerien zu sehen sind. 2020 erhielt Jakob Ferdinand Rieder den Förderpreis des Kanton Solothurn.

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Elisabeth Wedenig

 

Wedenig verwebt in ihren Bildkompositionen imaginäre und reale Räume zu einer scheinbaren Realität im Bild. Die Künstlerin übersetzt dabei Vorgefundenes, wie alte Fotografien oder auch kunsthistorische Zitate, neben Erinnerungen an ferne Traumwelten oder real erlebte Reiseeindrücke in ihre Malerei.

Über die Werke Elisabeth Wedenigs, die an der FH Campus Wien zu sehen sind, sagt sie selbst: "Die Arbeiten entstanden aus dem Interesse an der Wahrnehmung und der Realität, die eine nie endende Vielfalt aufweist; an dem, was für jeden Einzelnen von uns real, wahr und wichtig ist; an der Flexibilität und Elastizität von Realität; an dem, wie wir uns erinnern und wie wir vergessen; wie wir verlieren, verstecken, zerstören, behalten, dazuerfinden, neu ordnen und neue Lösungen finden. Die Malereien sind nie vollständig ausdefiniert und lassen Bereiche offen." Damit lässt sie bewusst den Betrachtenden die Möglichkeit, mit eigenen Erinnerungen das Bild zu überlagern – im Sinne der Vielfalt an Betrachtungsweisen.

Neuland, Octopus und There is water between us stammen aus der Serie Being An / No Island. Das Projekt dreht sich um die Frage, in wieweit Abgrenzung möglich ist. Können wir überhaupt allein sein oder sind wir immer Teil des Ganzen, wie auch schon John Donne in einem Gedicht meinte: "No man is an island". Die Arbeiten bewegen sich zwischen Isolierung und Zusammenhalt. Letztendlich ist eine Insel nur an der Oberfläche isoliert. Sie ist fest mit dem Boden verbunden.

Weiters zu sehen an der FH Campus Wien: Diese Nacht war eine Möwe, About the rain und Swan for a day.

Geboren 1980 in St. Veit a. d. Glan, lebt und arbeitet die Künstlerin in Österreich. Sie studierte 1998–1999 an der lettischen Kunstakademie in Riga, in der Klasse für Malerei, 1999-2005 Künstlerisches Lehramt an der Akademie der bildenden Künste Wien, 2001 in der Klasse für Malerei an der Kunstakademie von Athen und 2004-2008 Bildende Kunst an der Akademie der bildenden Künste Wien. 2020 erhielt sie das Österreichisches Staatsstipendium für Bildende Kunst, 2022 ein Arbeitsstipendium des Landes Kärnten.

Reisen und Auslandsresidenzen sind wesentliche Inspirationen für ihre Kompositionen, wie zum Beispiel 2019 der Artist in Residence Aufenthalt in Nepal.
Wedenig ist Teil von Projekten und Künstler*innenkooperationen. Sie ist vertreten auf internationalen Messen und Ausstellungen, sowie in diversen Sammlungen und Publikationen.

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Die Ausstellung

Für die Auswahl der Arbeiten zeichnet eine Jury aus profilierten schweizerischen und österreichischen Kurator*innen verantwortlich:

  • Karin Mairitsch, bildende Künstlerin, langjährige Co-Präsidentin der visarte zentralschweiz, bis 2016 Vorstandsmitglied der Kunsthalle Luzern, ab Oktober 2022 Rektorin der Zürcher Hochschule der Künste
  • Katharina Moser, bildende Künstlerin und Galeristin loft8 Galerie für zeitgenössische Kunst
  • Günther Oberhollenzer, u.a. Kurator der Sammlung Essl in Klosterneuburg, der Landesgalerie Niederösterreich in Krems, ab Oktober 2022 künstlerischer Leiter des Künstlerhaus Wien
  • Jutta Garbe, Leiterin Unternehmenskommunikation, FH Campus Wien

Einladung zum Kunstgenuss: Faszination, die anregt

Die Ausstellung ist bis Mai 2023 zu den Öffnungszeiten der FH Campus Wien in der Favoritenstraße 226, 1100 Wien öffentlich kostenfrei zugängig. In den Ausstellungsbereich kommen Sie, wenn Sie beim Haupteingang die Stiege links neben der Glastür hinunter gehen. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!