Ist Empathie die Grundlage, die kooperatives Verhalten begünstigt und ermöglicht? Ein Gespräch mit der Philosophin Monika Betzler. Sie ist Professorin für Praktische Philosophie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und beantwortet im Interview Fragen zur Empathie im Spannungsfeld von Konflikt und Kooperation.
Monika Betzler
Philosophin Monika Betzler, Ludwig-Maximilians-Universität München
Ob wir Menschen von Natur aus den Konflikt suchen oder kooperativ eingestellt sind, ist eine Frage, die Philosophen zu verschiedenen Zeiten kontrovers diskutiert haben. Diese Frage nach unserer „Natur“ zu beantworten, ist aber letztlich gar nicht so interessant. Wichtig ist, dass wir Wesen sind, die prinzipiell in der Lage und bereit sind zu kooperieren. Das lässt dich schon bei kleinen Kindern beobachten. Interessant ist dann, unter welchen Bedingungen es uns eher gelingt, kooperatives Verhalten zu zeigen.
Ganz allgemein kann man sagen, dass wir dann motiviert sind, kooperativ zu sein, wenn Kooperation für die Beteiligten wertvoll ist. Das bedeutet nicht, dass Kooperation zu einem kooperationsunabhängigen wertvollen Ergebnis führen muss. Das wäre etwa der Fall, wenn wir einen Vertrag schließen, damit beide Vertragsparteien ein gutes Geschäft machen können. Es kann auch einen Wert darstellen, wenn Kooperation selbst als wertvoll erachtet wird, etwa weil es Spaß macht, zusammen etwas zu machen.
Vielleicht sollte man eher fragen, was Empathie mit Kooperation zu tun hat. Denn wir können auch ohne Empathie kooperieren. Empathie bezeichnet die mentale Fähigkeit, die Perspektive anderer einzunehmen und ihre Erfahrungen aus ihrer Sicht nachzufühlen. Wenn also Empathie eine Einstellung ist, die auf die meist emotionale Perspektive anderer gerichtet ist, eröffnet sie zumindest die Möglichkeit der Kooperation. Wer sich in andere hineinversetzt und ihre Erfahrungen nachfühlt, ist eher motiviert, ihnen beizustehen, ihnen zu helfen oder mit ihnen gemeinsam etwas zu tun. Man tut das genau deshalb, weil man ihre Perspektive besser nachvollziehen kann und dadurch teilt.
In der Regel gehen Philosoph*innen davon aus, dass die Nachfühlung mit ähnlichen, wenn auch möglicherweise schwächeren Gefühlen oder Emotionen erfolgt, als die Person, mit der wir nachfühlen, tatsächlich empfindet. Empathie setzt Vorstellungskraft voraus. Wir müssen uns vorstellen können, wie die Dinge aus Sicht einer anderen Person für diese Person sind. Das setzt Wissen und Erfahrungen voraus. Wir können nicht immer Empathie empfinden. Dies liegt nicht nur daran, dass unsere mentalen Ressourcen begrenzt sind, sondern auch daran, dass wir uns nicht alle Erfahrungen anderer gleich gut vorstellen können.
Empathie hat im Wesentlichen zwei Funktionen. Zum einen ermöglicht Empathie uns Zugang zu den Gefühlen anderer, über die wir auf diese Weise Kenntnis erlangen. Wir wissen dann etwa, wie es sich aus Sicht einer anderen Person anfühlt, Angst vor einer Prüfung zu empfinden. Zum andern besitzt Empathie die Funktion, uns mit anderen zu verbinden. Sie schafft Beziehung und es ist kein Zufall, dass Nahbeziehungen ohne Empathie in der Regel keine guten Beziehungen sind. Denn wer Empathie erfährt, der fühlt sich in seiner Sicht der Dinge bestätigt. Er fühlt sich anerkannt und emotional unterstützt. Insofern ist Empathie selbst für die Person, die Empathie erfährt, eine intime Erfahrung.
Empathie stößt dann an ihre Grenzen, wenn wir mit Gefühlen anderer Empathie empfinden, die selbst nicht gerechtfertigt sind. Sie ist zudem auch von beschränktem Wert, wenn es um Fragen der Moral geht. Gerade in letzter Zeit wurde von einigen Philosoph*innen darauf aufmerksam gemacht, dass Empathie zu Parteilichkeit führt. Wir empfinden mehr Empathie mit Personen, die uns nahstehen, und vernachlässigen dadurch Personen, die uns weniger nahestehen. Empathie kann daher dazu führen, dass wir bestimmten Personen mehr Gutes angedeihen lassen als anderen, obwohl wir alle im Blick haben sollten.
Das kann man so pauschal nicht sagen. In mancher Hinsicht gibt es heute mehr Empathie als früher. Denken Sie etwa an die Kindererziehung, die vor 100 Jahren in der Regel mit ziemlich wenig Empathie erfolgte. Man könnte auch anführen, dass durch die Globalisierung das Schicksal von viel mehr Menschen in den Fokus unserer Empathie rückt. Allerdings besteht durch die Organisation unserer Arbeitswelt und die vielen technologischen Neuerungen tatsächlich die Gefahr, dass unsere Fähigkeit zur Empathie auf der Strecke bleibt.
Sofern die Digitalisierung dazu führt, dass wir mehr mit Maschinen als mit Menschen zu tun haben, besteht zumindest eine gewisse Gefahr, dass wir unsere Fähigkeit zur Empathie weniger trainieren und deshalb auch weniger in der Lage sind, anderen nachzufühlen. Dies würde zu einer emotionalen Verarmung unseres Miteinanders führen. Insofern muss man sich bei Themen der Digitalisierung die Frage stellen, wie sehr sie menschliches Miteinander vereiteln und wir ein Recht auf Sozialität geltend machen müssten, dass dieses Miteinander trotz Digitalisierung zu befördern erlaubt.
Das kann dadurch geschehen, dass wir bewusst Räume schaffen, in denen unmittelbarer sozialer Austausch stattfindet. Je mehr unterschiedliche Personengruppen daran teilhaben, desto einfacher ist es, mit verschiedenen Menschen Empathie zu empfinden. Außerdem ist es von Vorteil, sich mit Literatur oder einfach mit Geschichte zu beschäftigen, da dies unser Vorstellungsvermögen trainiert. Ebenso wichtig wäre, in der Erziehung sowohl das Vorstellungsvermögen als auch den Ausdruck und die Interpretation von Gefühlen zu trainieren und zu kultivieren.