Technologischer Fortschritt, Digitalisierung, Globalisierung, Migration, Wertewandel und demografischer Wandel stellen die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Und verändern sie auf allen Ebenen: immer schneller, immer dynamischer, immer komplexer. Bildung und Kunst nehmen in diesen Prozessen des Wandels sehr wichtige Funktionen ein. Die dazu ausgestellten Kunstwerke sollen zum Hinschauen und zum Nachdenken anregen.

Veränderung in der Kunst

Ist nicht das Malen eines Bildes oder die Anfertigung eines Kunstobjekts per se schon Veränderung – eine Veränderung von Materialien? Wie lassen sich Kunstschaffende von Veränderung inspirieren? Wie reflektieren sie Veränderung im Kontext von Verantwortung? Zum Thema „Veränderung“ der aktuellen Zukunftsgespräche im Mai 2019 findet an der FH Campus Wien eine begleitende Ausstellung statt. Die Werke sind bis April 2020 zu sehen.

Die Zukunftsgespräche an der FH Campus Wien

Die Mission der FH Campus Wien ist es, Zukunft mit Bildung zu gestalten. Die Veranstaltungsreihe „Zukunftsgespräche“ der FH Campus Wien greift diesen Anspruch unmittelbar auf. Namhafte Gäste aus dem In- und Ausland diskutieren mit Expert*innen der FH Campus Wien über die aktuellen Herausforderungen der Menschheit und die Grenzen, an die man bei deren Lösung bisweilen stößt. Die Zukunftsgespräche suchen nach Ansätzen für die Zukunft und bieten Raum für öffentlichen Diskurs. 

Die diesjährige Veranstaltung nimmt sich als Ausgangspunkt für eine multidisziplinäre Auseinandersetzung die tiefgreifende Phase der Veränderung unserer Gesellschaft, von einer Industrie- zu einer Wissensgesellschaft. 

Die Ausstellung

Auf Einladung der FH Campus Wien haben Künstler*innen das Thema hinterfragt. Für die Auswahl der Arbeiten von zeichnet eine Jury aus profilierten schweizerischen und österreichischen Kurator*innen verantwortlich:

  • Karin Mairitsch, bildende Künstlerin, Co-Präsidentin der visarte zentralschweiz, bis 2016 Vorstandsmitglied der Kunsthalle Luzern
  • Günther Oberhollenzer, Kurator für das neue Kunstmuseum in Krems - der Landesgalerie Niederösterreich
  • Katharina Moser, Galeristin, loft8 kunstraum und Galerie in der Brotfabrik
  • Jutta Garbe, Leiterin Unternehmenskommunikation, FH Campus Wien

Nationale und internationale Künstler

Bei der Vernissage am 15. Mai führte Kuratorin Karin Mairitsch von Exponat zu Exponat und resümierte: „Wir können festhalten, dass die antizipierende Kraft der Kunst gerade beim Thema Veränderung verstörend offen legt, dass Zeit abgelaufen ist und uns die Utopie der Zerstörung, Vereinsamung und Unmenschlichkeit gar schon eingeholt hat.“

Jeremias Altmann und Andreas Tanzer (A) - Umwälzungen | Geflecht | Your Fear of Nostalgia

Als „Umwälzungen“ betiteln die beiden Künstler Jeremias Altmann und Andreas Tanzer die 10-teilige Radierungsserie aus dem Zyklus der grey time. Alle Werke der grey time wurden mit vier Händen kreiert – durch die Kontinuität ihrer Zusammenarbeit entstand eine gemeinsame Sprache, welche sie seither mit dystopischer Formgebung veräußern. Der Fokus ist gerichtet auf Spuren und Reste vergangener Fragilität - ohne den eindeutigen Verweis einer zeitlichen Einbettung ihrer Werke geben zu wollen – vermitteln sie dennoch ein befangenes Jetzt. Ein „Nachher“ mit ungewissem „Davor“.

„Geflecht“ - ein weiterer Teil des Projektes grey time - nimmt Bezug auf eine Rauminstallation von Tanzer und Altmann, für welche sie die saubere Küche eines ehemaligen Bürogebäudes in eine zerklüftete Industrie-Ruine verwandelten. Als Echo jenes temporären Eingriffs, der nur für sein unmittelbares Publikum erfahrbar war, entstand das „Geflecht“ als schemenhafte, malerische Erinnerung. Und auch in diesem Bild wird sichtbar, dass die grundliegenden Fragen der Bildästhetik und Komposition selbst in Visionen der Zerstörung ihren klaren Widerhall finden können. Leben bedeutet Verfall - Verfall bedeutet Leben.

„Your Fear of Nostalgia“ ist eine Serie von speziell behandelten Zinkplatten und zeigt die Erhabenheit scheinbar unzerstörbaren Dinge. Als Ausgangspunkt dafür verwendete Jeremias Altmann eine kleine Landschaft, die er als räumliches Stillleben aus verschiedenen Komponenten zerlegter Geräte wie kaputten Filmprojektoren, CD-Playern, Festnetztelefonen und Haushaltsgeräten zusammenstellte. Maschinen sind Zeugen technischer Transformationen. Im Spannungsfeld zwischen ästhetischen Behauptungen, Bezügen zur Geschichte der Zivilisation und gefährlichen Abfällen bilden die Komponenten unserer ehemaligen Gefährten jetzt einen metallischen Widerstand, der letztendlich in Vergessenheit geraten wird. 

Marianne Lang (A) – Double Sight

In der Bleistift-Serie Double Sight lenkt Marianne Lang das Hauptaugenmerk auf die Durchdringung und Verschachtelung von Innen – und Außenräumen und damit von natürlichen und menschlichen Räumen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, welche Räume sind im Zeitalter des „Anthropozän“ noch als natürlich zu bezeichnen, wenn der Mensch als dominierende Kraft den Planeten tiefgreifend verändert. 

Die Transparenz in den Bildern verdeutlicht: die Grenzen zwischen Umwelt und all dem geologischen Einfluss des Menschen sind aufgelöst, die Mauern zwischen Natur und Kultur gefallen. Raum wird zum Sichtfeld, zum „Eingeräumten“, das nur durch den Horizont begrenzt ist. Die Bleistiftzeichnungen der Serie Double Sight zeigen eine Außen- und zugleich eine Innenaufnahme. Wie durch ein Fenster erblickt der Betrachter verschiedene Landschaften, zugleich aber auch jeweils auf einen Innenraum. 
Damit gibt Lang auch sehr private Einblicke: tatsächlich vermischt Lang in diesen Vexierbildern Erinnerungen an private Orte: der Blick aus dem Elternhaus in der Steiermark, die Innenansicht der Atelierwohnung im Wiener 2. Bezirk oder der Urlaubsort.

Pawel Mendrek (A/PL) – Project 12 Characters

Caregiver | Creator | Everyman | Explorer | Hero | Innocent | Jester | Lover | Magician | Outlaw | Ruler | Sage

Pawel Mendrek kann als Künstler beschrieben werden, der konstant in Bewegung ist, auch hin- und hergerissen zwischen seinem Arbeiten in Wien und seinen polnischen Wurzeln. Mendreks Arbeit ist breit gefächert und umfasst verschiedene Techniken wie Praxisforschung und das Mischen von experimentellen Techniken. Sein bevorzugtes Material ist Papier, und somit kombiniert er in seinem Schaffen Malerei, Fotografie, Zeichnen und Collagen. Indem er die Grenzen dieser Kunstrichtungen überwindet, definiert er seine künstlerische Vision neu. 

Durch seine sechs Episoden mit 18 Werken, von denen 12 an der FH Campus Wien zu sehen sind, zieht sich das Hauptthema der Utopie – im Sinne der Utopien im Allgemeinen und des utopischen Denkens, zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre in Verbindung mit einer futuristischen Sichtweise der Welt. Das Fortbestehen von Systemen, die alle einen Hauch von Utopie haben, die mit der Zeit von der schnellen Strömung des Lebens „erodiert“ wurden, erweist sich als augenblicklich.

Kollektiv «Spargut», Achim Schroeteler und Thomas Aregger (CH) – Arts-based Research-«Aktion»

Das Künstler*innenkollektiv «Spargut» aus der Zentralschweiz demonstriert in ihrer gesellschaftskritischen und auf Missstände hinweisenden Arts-based Research-«Aktion», welche Veränderungen „Sparen“ bewirkt und macht dies unmittelbar erlebbar. Ausgangspunkt ist das Sparen auf politischer Ebene, das besonders die Bereiche Bildung, Soziales, Kultur und Gesundheit betrifft. Das Kollektiv hat sich vorgenommen, die Systematik dahinter zu enttarnen und tut dies mit Methoden der künstlerischen Forschung,so auch in der dreitägigen Aktion an der FH Campus Wien.

Achim Schroeteler und Thomas Aregger applizierten Kernaussagen zur Methodologie des Sparens als eine Art These. Vorübergehende wurden interviewt und porträtiert sowie markante Schlagworte notiert. Mit Bleistift – direkt an die Ausstellungswände. Anschließend wurden die Methoden des Sparens umgehend zur Anwendung gebracht, indem die Porträts bspw. teilweise wegradiert oder Gesichtspartien a priori ausgelassen wurden. Besonderes Schwergewicht bekommt das Kunstwerk des Kollektivs «Spargut» dadurch, dass die Wände beim Ausstellungsabbau 2020 gestrichen werden müssen und mit dem Ausmalen auch das «Sparkunstwerk» gänzlich und unwiederbringlich verschwindet. Metaphorisch wird damit die Methode des sprichwörtlichen «zu Tode Sparens» als die letzte Konsequenz der Sparrhetorik tatsächlich vollzogen.

Das Kollektiv Spargut über die Ergebnisse der Arts-based Research-«Aktion» an der FH Campus Wien, die konzentrierte Gespräche hervorbrachte und als lebendige und kritische Raumgestaltung wahrgenommen wurde: „Sparen deckt Wertigkeiten auf: Nicht in allen Bereichen wird gleich stark gespart, so verwundert es, dass in Berufsfeldern mit hohem Bezug zum Menschen, beispielsweise in der Betreuung alter Menschen oder im Berufsfeld der Hebammen massiv gekürzt wurde und wird. Es scheint, als sei der Dienst am Menschen aus dem Fokus gerückt.“ Und weiter: „Sparen macht Angst – egal ob in der Schweiz oder in Österreich. Wo gekürzt wird, wachsen vergleichbare Unsicherheiten: Gut ausgebildet, aber reicht das, wenn Personal eingespart wird? Wird der Arbeitsvertrag verlängert, wenn Ausgaben optimiert werden?“

Claudia Vogel (CH) – Hungerstein „Wenn du mich siehst, dann weine.“

Mächtig und nahezu unverwüstlich thront der Hungerstein von Claudia Vogel auf seinem Platz im Ausstellungsbereich der FH Campus Wien und zieht den Betrachter in seinen Bann. Eine Faszination, die Claudia Vogel veranlasste, die berühmten historischen Steine, die beispielweise an der Elbe aus dem Wasser ragen, in die Kunst zu transferieren. Mit ihren Inschriften und Jahreszahlen sind sie gleichsam Zeitzeugen wie Mahnmal und erzählen eine Geschichte: Hat der Fluss seinen normalen Wasserstand, sind sie kaum zu sehen, sinkt der Wasserspiegel aber, kommen sie teilweise oder gänzlich zu Tage. Der Name Hungersteine leitet sich davon ab, dass an Flüssen die Versorgung der Bevölkerung vor allem über den Wasserweg erfolgt ist, in Dürrezeiten bestand deshalb die große Gefahr einer Hungersnot.

Im Jahrhundertsommer 2018 kamen in vielen Flüssen Europas Hungersteine zum Vorschein und gaben Anlass zu weitreichenden Diskussionen über unsere Erderwärmung, Klimawandel und die Veränderung unserer globalisierten Welt. Gedankenanstöße in viele Richtung geben die Hungersteine auch durch ihre Botschaft im übertragenen Sinn:

  •  Legt uns jemand Steine in den Weg?
  • Markiert unser Engagement einen Meilenstein?
  • Wird jeder Stein umgedreht?
  • Bringen wir den Stein ins Rollen?
  • Wer wirft den ersten Stein?
  • Ist es nur ein Tropfen auf einem heißen Stein?
  • Ist diese Tatsache in Stein gehauen?

 

Claudia Vogel über ihre Emotionen beim Anblick der Hungersteine: „Steine überdauern uns und erzählen Geschichten - auch die Geschichte der Veränderung."

Anna-Sabina Zürrer (CH) – Ginkgo biloba alba

Blätter des Baumes „Ginkgo biloba“, der als ältester Baum der Erde und als „lebendes Fossil“ gilt, bilden die Basis für Anna-Sabina Zürrers Auseinandersetzung mit Veränderung. Ganz bewusst traf sie diese Wahl, denn in der Naturmedizin werden die Blätter dieses Baumes gegen das Vergessen, gegen Krankheiten wie Demenz, verabreicht. Ginkgo biloba hat sogar die Eiszeit überlebt und überdauert dank seiner Widerstandsfähigkeit Insektenfraß, Luftverschmutzung und sogar radioaktive Strahlung: Während am Explosionsort der Atombombe von Hiroschima jegliche Natur verbrannt und ausgerottet war, schlug der Ginkgo einer nahen Tempelanlage als einziges Grün im folgenden Frühjahr erneut aus. 

Zürrer stellt damit den Kontext von Verantwortung in Bezug zu Natur und das kollektive Gedächtnis. Und wirft für alle offensichtliche Fragen auf: Was sind die Langzeitfolgen des technologischen „Fortschritts“? Welche Mutationen beispielsweise entstehen mit oder ohne menschliches Zutun? Was bleibt am Ende physisch zurück, was verschwindet? 

Die Blätter des Ginkgo biloba sind normalerweise grün, im Herbst leuchtend gelb und im Winter braun.

Nach dem chemischen Eingriff der Künstlerin ist jedoch keine Farbe mehr vorhanden: Der natürliche Farbstoff der Photosynthese betreibenden Pflanze wurde komplett ausgewaschen. Unnatürlich weiß erscheinen die Stücke auf dem grauen Untergrund im dunkelgrauen Rahmen. Einzig die Struktur der Blätter und ihre unterschiedlichen Formen bleiben erkennbar. Die Farbe Weiß zieht sich wie ein Faden durch die Werke von Anna-Sabine Zürrer: „Nicht nur bei ‚Ginkgo biloba alba‘, sondern auch bei anderen Arbeiten von mir, steht ein weißes Blatt bzw. weißes Papier nicht am Anfang des künstlerischen Prozesses, sondern am Ende.“