Die Hüter*innen des Augapfels – Orthoptik hat das Sehvermögen im Blick

Wie Orthoptist*innen präventiv und therapeutisch Sehstörungen begegnen.

Die Augen – unser wichtigster Sinn, ein Riesenanteil der Informationen aus der Umwelt nehmen wir Menschen visuell wahr. Bei Schielen oder Sehstörung, Sehschwäche, Doppelbildern, wenn das Gesichtsfeld beeinträchtigt ist, dann wissen sie, was zu tun ist – Orthoptist*innen. Sie sind Spezialist*innen in einem Teilbereich der Augenheilkunde. Andrea Franzan und Anna-Maria Windhofer vom Studiengang Orthoptik der FH Campus Wien über das komplexe visuelle System, Sehstörungen, Augenkrankheiten, Prävention und Therapie. Außerdem gratulieren wir: 50 Jahre Orthoptik-Ausbildung in Wien!

Datum: 15.9.2023

Die Hüter*innen des Augapfels – Orthoptik hat das Sehvermögen im Blick

Lisa Baumgartner
Haben Sie im Sommer immer eine Sonnenbrille auf, bei Sonnenschein? Gell, das kann ganz schön irritieren, vielleicht tränen die Augen, wenn das Sonnenlicht blendet. Andere Situation: Buch lesen oder lesen in der Zeitung. Geht ohne, oder brauchen Sie dafür eine Brille? Oder wie ist es denn mit Ihren Augen, wenn Sie lang am Bildschirm arbeiten? Also, Sie merken schon, in dieser neuen Folge von neunmalklug nehmen wir unsere Augen, unseren Sehsinn unter die Lupe. Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich bin die Lisa Baumgartner von der FH Campus Wien, und ich freue mich auf das Gespräch mit Andrea Franzan und Anna-Maria Windhofer vom Studiengang Orthoptik. Darf ich Sie beide einmal bitten, sich kurz vorzustellen. Frau Franzan, machen Sie den Anfang!

Andrea Franzan
Mein Name ist Andrea Franzan und ich bin seit fünf Jahren Studiengangsleiterin des Bachelorstudiengangs Orthoptik, hier an der FH Campus Wien.

Lisa Baumgartner
Frau Windhofer...

Anna-Maria Windhofer
Mein Name ist Anna-Maria Windhofer. Ich bin Orthoptistin und seit 2019 hauptberuflich Lehrende am Studiengang Orthoptik und nebenbei noch ein paar Stunden bei einer Augenärztin im dritten Bezirk tätig.

Lisa Baumgartner
Unsere Augen, die haben Sie im Blick. Frau Franzan, Orthoptik, das ist ein Teilbereich, ein Spezialgebiet der Augenheilkunde. Können Sie das ein bisschen konkretisieren? Wo ist da die Abgrenzung?

Andrea Franzan
Ja, der Beruf der Orthoptist*innen ist ein gesetzlich anerkannter Gesundheitsberuf und zählt zu den gehobenen medizinisch-technischen Diensten. Orthoptist*innen arbeiten eigenverantwortlich und selbstständig nach Anordnung oder Zuweisung eines Arztes oder einer Ärztin. Der Kernbereich unserer beruflichen Tätigkeit liegt im Erkennen und Behandeln von funktionellen Erkrankungen des Auges und des visuellen Systems. Dazu zählen zum Beispiel Augenbewegungsstörungen, Augenkoordinationsstörungen, Schielen, Schwachsichtigkeit, Störungen in beidäugigen Sehen, Störungen der Qualität der Sehfunktion, aber auch das Auseinandersetzen mit den Auswirkungen von anderen Augenerkrankungen auf das visuelle System.

Lisa Baumgartner
Welche Aufgaben nehmen die Orthoptist*innen denn nun tatsächlich wahr, Frau Windhofer?

Anna-Maria Windhofer
Der Aufgabenbereich von uns Orthoptist*innen ist recht vielfältig, zum Beispiel in der Gesundheitsförderung und Prävention. Hierbei geht es darum, Risikofaktoren auch zu vermindern. Eine essenzielle Aufgabe von uns Orthoptist*innen ist dabei die zeitig Erkennung von Sehfehlern und Schiel-Abweichungen. Wir sind auch in der Diagnostik tätig. Wie Sie bereits gehört haben, kommen Patient*innen mit verschiedensten Beschwerden, wie zum Beispiel Doppelbildern, zu uns. In der orthoptischen Untersuchung stellen wir dann die Diagnose, die dann als Grundlage auf dem Weg zur optimalen Therapie dient. Wo wir auch schon beim nächsten Punkt wären. Auch die Therapie ist ein wesentlicher Aufgabenbereich von uns Orthoptist*innen. Sie kennen uns vielleicht von der Anpassung einer Brille, aber wir passen auch Prismen an oder machen zum Beispiel Übungen im Rahmen der orthoptischen Visualtherapie. Wir sind auch in der Rehabilitation tätig. Hier geht es darum, Patient*innen zu unterstützen, die aufgrund von zum Beispiel neurologischen Erkrankungen Sehstörungen haben, um so mit ihnen mit unterschiedlichsten Hilfsmitteln und Kompensationsstrategien eine Verbesserung ihrer individuellen Lebenssituationen zu erreichen. Sie sehen, der Aufgabenbereich ist recht vielfältig. Generell, Personen mit verminderten Sehvermögen sind in vielen Lebensbereichen eingeschränkt, und das macht unseren Beruf auch so interdisziplinär. Das heißt, wir arbeiten mit zahlreichen Spezialist*innen zusammen aus verschiedensten Fachbereichen.

Lisa Baumgartner
Sie haben selber gesagt, Sie arbeiten auch bei einer Augenärztin. Ich kenne es von meiner Augenärztin genauso: Bevor ich zu ihr reingehe, werden meine Augen mit allen möglichen Geräten untersucht und ich muss auch Übungen machen. Zum Beispiel muss ich mit den Augen dem Bleistift folgen. Das machen die Orthoptistinnen und die Orthoptisten. Welche Berufsfelder finden die Studierenden nach ihrem Bachelorabschluss noch vor?

Andrea Franzan
Ja, unsere Absolvent*innen erwartet ein breites Betätigungsfeld, und, wie Sie schon gesagt haben, sie können in Ordinationen von Augenfachärzt*innen arbeiten, aber auch in der orthoptischen Abteilungen, die sich meist hinter so Begriffen wie Sehschule oder Schielambulanz verstecken, aber auch in anderen Spezialabteilungen, wie zum Beispiel der Neuroophthalmologie oder den Abteilungen für Erkrankungen von der Makula von großen Krankenhäusern oder Kliniken. Sie finden sie aber auch in Rehabilitationszentren sowohl für Kinder als auch für Erwachsene. Einige Orthoptist*innen sind auch in der freiberuflichen Praxis tätig, machen Hausbesuche oder führen Präventionsmaßnahmen in großen Firmen durch.

Lisa Baumgartner
Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, dann untersuchen Sie ja Menschen, egal welchen Alters, auch schon Kleinkinder?

Anna-Maria Windhofer
Ja, auch Kleinkinder, denn generell ist kein Kind zu jung für eine orthoptische Untersuchung. Wir haben hier verschiedenste Tricks, um diese Funktionen unserer Jüngsten zu testen. So gut wie möglich sehen zu können, ist für jede Altersgruppe wichtig, vom Säugling bis zum Senior, zur Seniorin. Gerade in der Kindheit ist es wichtig, optimale Sehbedingungen zu schaffen. Warum ist das so? Mit der Geburt ist die Entwicklung des Systems noch nicht abgeschlossen, sondern das Gehirn und die visuellen Areale werden auf ihre Funktionen und Eigenschaften geschult. Das heißt, wenn da jetzt ein Spielen oder ein verschwommene Sehen da ist, kann sich das auf die Entwicklung der Sehrinde auswirken, und das Gehirn adaptiert sich sozusagen an dieses verschwommene Bild. Und, wenn man dann später im erwachsenen Alter die erste Brille anpasst, dann kann man trotzdem kein scharfes Bild empfangen, weil das Gehirn einfach nie gelernt hat, wie schaut denn überhaupt so ein scharfes Bild aus, sondern dann bleibt trotz der optimalen Korrektur das Bild einfach verschwommen.

Lisa Baumgartner
Bei den Kleinkindern, die können sich ja eigentlich noch nicht so wirklich artikulieren. Sie haben gesagt, es gibt Tricks, wie man trotzdem eine Untersuchung mit einer guten Diagnose bekommt. Das macht mich neugierig, welche Tricks gibt es da?

Anna-Maria Windhofer
Generell ist es natürlich so, dass es nicht so ein klassischer Sehtest ist, wie es wir jetzt vielleicht aus der Untersuchung kennen, mit Zahlen und Buchstaben, sondern es ist angepasst an das Alter. Spielerisch mit verschiedensten Untersuchungsmethoden schauen wir uns an, ob die Augen gut sehen und optimal zusammenarbeiten. Der Ablauf ist so: Sie kennen das wahrscheinlich wie von jeder Untersuchung. man starte noch mal mit einem Anamnesegespräch mit den Eltern. Und da schaut man sich an, gibt es vielleicht irgendwelche Risikofaktoren oder ist den Eltern vielleicht auch im Alltag schon irgendwas aufgefallen? Und im Anschluss haben wir dann Lichter, Bilder, Zauberkasten, mit denen wir uns dann eben zum Beispiel die Sehfähigkeit anschauen und die Augenbeweglichkeit, die Augenstellung und einfach die Zusammenarbeit der beiden Augen.

Lisa Baumgartner
Sie haben gerade gesagt: Eltern fällt vielleicht etwas im Alltag auf. Was wären denn so Alarmzeichen, damit ich mit meinem Kind tatsächlich eine Untersuchung machen lasse?

Anna-Maria Windhofer
Generell, was vielleicht im Alltag auffällt: Vielleicht ist eine sichtbare Auffälligkeit bei den Augen oder bei der Augenstellung da. Vielleicht wird der Kopf schief gehalten, vielleicht fällt Augenzittern auf, oder das Kind beschreibt Doppelbilder. Beziehungsweise Artikulation ist natürlich schwierig, das heißt, vielleicht fällt einfach auf, dass ein Auge zugekniffen wird oder dass vermehrt Ungeschicklichkeit im Alltag besteht. Auch das wären so Alarmzeichen. Dann, grad wenn wir in Richtung Schulalter gehen, da wären dann vielleicht so Augentränen oder Kopfschmerzen nach einem langen Schultag oder Leseunlust, Lesestörungen oder auch einfach Konzentrationsprobleme, das könnten so Alarmzeichen sein. Und natürlich generell: Wenn schon Augenkrankheiten in der Familie bestehen, dann auf alle Fälle auch eine Orthoptistin, einen Orthoptisten besuchen.

Lisa Baumgartner
Wie schaut es mit Legasthenie aus? Ist die auch vielleicht begründet in einer Augenproblematik?

Andrea Franzan
Bei Legasthenie ist es generell sehr gut, wenn man die Augen untersucht und darauf achtet, ob nicht auch andere Störungen vorliegen, wie zum Beispiel ein verstecktes Schielen oder eine nicht entdeckte Fehlsichtigkeit, die mit einer Brille korrigiert werden kann. Mit der optimalen Korrektur und Therapie der anderen Sehprobleme können dann die Legasthenieprobleme besser kompensiert werden.

Lisa Baumgartner
Früher als ja als ein optischer Fehler das Schielen. Tatsächlich ist es aber eine Krankheit. Im Zusammenhang mit Schielen haben vielleicht der eine oder die andere auch schon erlebt: Im Kindergarten oder in der Schule, die Freundin hat eine Brille, und ein Glas ist zugeklebt. Ich habe mich immer gefragt, warum ist dieses Glas zugeklebt?

Andrea Franzan
Zum Zeitpunkt der Geburt ist das Sehen und das visuelle System noch nicht vollständig ausgebildet. Diese Ausbildung gelingt nur, wenn man optimale Sehbedingungen hat. In den ersten Lebensjahren tut sich besonders viel in der Sehentwicklung. Das heißt, wenn ein Auge zum Beispiel eine starke Vielsichtigkeit hat oder eben ein Schielen vorliegt, hat das negative Auswirkungen auf die Sehentwicklung. Man kann dann ein Auge zukleben, und zwar das bessere Auge, und zwingt damit das schlechtere, also das amblyope oder schwachsichtige Auge zu sehen und besser sehen zu lernen. Und hier gilt auch, was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nicht mehr, das heißt, je früher man beginnt desto besser ist die Prognose.

Lisa Baumgartner
Also, ich kann mich tatsächlich an einen Schulkollegen erinnern, an einen schielenden, und der hat dann in der Volksschule so eine Brille getragen, und der hat gesagt: "Ich gehe in die Sehschule." Den Begriff haben Sie vorher auch schon genannt. Gibt es eine Sehschule wirklich? Was ist das?

Andrea Franzan
Wie gesagt, meistens verbirgt sich hinter dem Begriff Sehschule eine Abteilung, wo Orthoptist*innen arbeiten. Sehschulen gibt es in unserem Raum seit den 1950er Jahren. Entstanden sind die ersten Sehschulen in der 1930er-Jahren in England. Da hat sich die klinische Orthoptik entwickelt und als erste Orthoptistin gilt Mary Maddox. Sie war die Tochter eines Augenarzt. 1961 hat dann die erste Orthoptistin in Österreich die Prüfung in Deutschland abgelegt. In Deutschland haben sich die ersten Ausbildungsstätten für Orthoptik entwickelt. Bei uns hat es noch ein bisschen länger gedauert. Es gab zwar schon 1964 eine Ausbildung in Salzburg, dort war es aber so, dass man die Prüfung nicht ablegen konnte. Man musste ins Ausland gehen, um zum Beispiel in Bonn oder in Gießen die Prüfung zu Orthoptist*in ablegen zu können. Bei uns war der Beruf auch gesetzlich noch nicht anerkannt, das heißt, erst mit der gesetzlichen Anerkennung 1972 haben sich dann die ersten Ausbildungsstätten in Österreich etabliert, genau vor 50 Jahren, 1973 dann auch in Wien. Und der Beruf wurde eben gesetzlich anerkannt, Sehschulen wurden dann wirklich mit gut ausgebildeten Fachkräften besetzt, und es hat dann noch bis 1992 gedauert, bis die Ausbildung zur Akademie für den orthoptischen Dienst wurde und die Ausbildung von zweieinhalb Jahren auf drei Jahre verlängert wurde. Und seit 2006 gibt es die Ausbildung in Form eines Bachelorstudium.

Lisa Baumgartner
Das heißt, heuer ist Jubiläumsjahr. 50 Jahre Ausbildung in Wien.

Andrea Franzan
Ja, wird auch gefeiert werden.

Lisa Baumgartner
Sehr schön, da gratuliere ich jetzt schon mal recht herzlich!

Off-Sprecher
Lisa Baumgartner im Gespräch mit:

Andrea Franzan
Ich bin Andrea Franzan, Studiengangsleitung des Bachelorstudiengangs Orthoptik.

Anna-Maria Windhofer
Ich bin Anna-Maria Windhofer, ich bin Orthoptistin und hauptberuflich Lehrenden an der FH Campus Wien.

Lisa Baumgartner
Der Bereich Diagnostik: Da fällt ja auch hinein, dass, Orthoptist*innen Fehlsichtigkeit feststellen. Ich denke, Millionen von Menschen sind davon betroffen. Mit einer Sehhilfe, Brille oder Kontaktlinse ist dieses Problem schnell keines mehr. Aber, Frage jetzt zum Auge im Alter: Wird tatsächlich jeder Mensch im Alter fehlsichtig?

Andrea Franzan
Ja, die Presbyopie oder Alterssichtigkeit oder im Volksmund auch Altersweitsichtigkeit genannt trifft jeden früher oder später. Es handelt sich dabei aber nicht um eine Krankheit, sondern um ein Symptom eines natürlichen Alterungsprozesses. Unser Auge kann sich wie ein Fotoapparat auf die verschiedenen Distanzen einstellen. Das macht das Auge indem der Ziliarmuskel unsere Augenlinse verformt. Im Laufe des Lebens wird unsere Linse aber immer steifer und immer härter und kann sich dann nicht mehr auf die Nähe einstellen. Das ist eben ein schleichender Prozess. Man muss den Text immer weiter weghalten, damit man scharf sieht, und irgendwann einmal sind die Arme zu kurz.

Lisa Baumgartner
Das glaube ich, kennen alle, die schon ein bisschen älter sind,

Andrea Franzan
Ja, ich kenne es auch schon. Abhilfe kann dann eben mit einer Lesebrille oder einem zur Fernkorrektur angepassten Nahzusatz geschaffen werden, zum Beispiel in Form einer Gleitsichtbrille.

Lisa Baumgartner
Kann ich selber irgendetwas dazu beitragen, dass dieser Prozess, ich sage mal, zumindest verzögert wird?

Andrea Franzan
Nein, eigentlich nicht, das ist so wie mit dem grauen Haaren. Die bekommt man auch früher oder später.

Lisa Baumgartner
Was vermutlich auch immer mehr Menschen selbst erfahren, sind Augenbeschwerden, zum Beispiel Kopfschmerzen auch, weil wir ja immer länger am Bildschirm sind und dort hineinschauen. Was können da für Probleme auftreten oder was können wir da präventiv eventuell dagegen tun?

Anna-Maria Windhofer
Generell, was kann auftreten. Sie haben schon angesprochen: Einerseits Kopfschmerzen, wir kennen das vielleicht alle, wenn die Augen schmerzen oder wie euch gerötete Augen bekommen, verschwommenes Sehen. Man ermüdet auch einfach rascher am Bildschirm, kriegt vielleicht Muskelverspannungen, und man merkt einfach auch, dass die Leistungsfähigkeit im Laufe des Tages abnimmt. Was tun generell bei Augenbeschwerden und Sehbeschwerden? Besuchen Sie Ihren Augenarzt, Ihre Augenärztin mit Orthoptist*in, um einfach die Beschwerden auch einmal abzuklären und optimale Sehbedingungen zu schaffen. Vielleicht ist ein Sehfehler vorhanden, der vielleicht korrigiert gehört, oder es ist eine Bildschirmbrille notwendig.

Lisa Baumgartner
Bildschirmbrille, wenn ich jetzt sowieso schon eine Brille habe für das Lesen der Zeitung zum Beispiel, brauche ich trotzdem eine Bildschirmbrille?

Anna-Maria Windhofer
Fürs Lesen der Zeitung, da haben wir ungefähr ein Abstand von, sagen wir, 30 Zentimeter, 40 Zentimeter. Wie Sie wissen, der Bildschirm steht meistens ein bisschen weiter weg, da ist eher so 50, 70 Zentimeter. Das heißt, das ist es einfach eine unterschiedliche Distanz, das heißt, Sie benötigen dann für diese spezielle Bildschirmdistanz einfach eine auf Sie abgestimmte Brille, und das ist dann eben die sogenannte Bildschirmbrille.

Lisa Baumgartner
Abgesehen von der Bildschirmbrille kann ich selbst irgendwelche Übungen machen, irgendetwas machen, damit eben diese lange Bildschirmarbeit nicht auf meine Augen negative Auswirkungen hat?

Anna-Maria Windhofer
Was allgemein wichtig ist, ist, dass Sie schauen, dass Ihr Arbeitsplatz ergonomisch optimal gestaltet ist. Das heißt, Sie schauen einmal, dass die Blickrichtung auch parallel zu der Fensterrichtung verläuft, sofern das natürlich möglich ist. Auch wäre wichtig, dass Sie keine störenden Reflexionen am Bildschirm haben, zum Beispiel von einer Lampe oder von einem Fenster. Außerdem ist auch noch wichtig, dass Sie sorgen, dass ausreichende Frischluftzufuhr da ist. Wichtig wären auch noch natürlich Pausen. Also nach 50 Minuten wäre es gut, wenn man mal so zehnminütige Pause macht. Am besten wäre es natürlich, wenn Sie da Zeit haben, aus dem Fenster rauszuschauen, nachdem sich das aber im Arbeitsalltag immer schwer einbauen lässt, es reicht auch, wenn Sie einfach einen Tätigkeitswechsel machen, sprich einfach mal vom Bildschirm weg und vielleicht gibt es andere Tätigkeiten, die Sie machen können in der Zwischenzeit. Durch die Bildschirmarbeit ist es auch so, dass man seltener blinzelt, und der Lidschlag ist dafür da, unseren Tränenfilm, der das Auge vor der Austrocknung schützt, zu erneuern. Das heißt, erinnern Sie sich, dass Sie regelmäßig und bewusst blinzeln, immer wieder mal zwischendurch. Auch Gähnen kann da helfen, ist natürlich die Frage, wie sinnvoll das am Arbeitsplatz ist, wenn man da zwischendurch gähnt. Aber grundsätzlich wäre es gut für die Befeuchtung unsere Augen. Und wenn Sie Lust haben, können wir jetzt gemeinsam auch so eine kurze Augen- Entspannungsübung machen.

Lisa Baumgartner
Okay, ja, ich bin gespannt.

Anna-Maria Windhofer
Die Übung heißt "der weiche Blick", und ich darf Sie jetzt bitten: Schauen Sie gerade in die Ferne und halten Sie die Zeigefinger in einer Distanz von 30 Zentimeter vor Ihren Augen. Bewegen Sie die Finger langsam nach außen und nach innen, nehmen Sie die Finger bewusst und scharf wahr, und das Sehen wird entspannt und locker.

Lisa Baumgartner
Das werden wir uns alle merken, damit wir eben bei dem langen Sitzen vor den Bildschirmen oder auch vor den kleinen, nicht nur vor den großen Bildschirmen, denn oftmals sind es ja die kleinen Bildschirme, die wir zu jeder Tages- und Nachtzeit quasi angreifen, dann doch auch wieder zur Seite legen. Die Studierenden im Bachelorstudiengang Orthoptik schätzen, dass das Studium so besonders viele Facetten hat und auch, dass sie schon während des Studiums sehr viel interdisziplinär agieren. Zum Beispiel habe ich gehört, mit dem Bereich Neurologie. Nach Schlaganfall und nach Unfall, denke ich, kommt das zu tragen. Ich glaube, Sie sprechen da von visuelle Neurorehabilitation. Was verraten denn die Augen über unseren Zustand im Gehirn?

Anna-Maria Windhofer
Also generell: Unsere Augen sind sehr eng mit unseren Gehirn verknüpft. Das heißt, wenn es dann zu einer Hirnschädigung kommt, können die visuelle Wahrnehmung oder auch die Augenbewegungen betroffen sein. Schauen wir uns vielleicht als Beispiel den Hirnstamm und das Kleinhirn. Die beiden sind dafür zuständig, damit wir überhaupt unsere Augen koordinieren können, das heißt, damit Sie Sachen anschauen können, damit Sie Sachen nachschauen können, damit Sie auf der Mariahilferstraße spazieren gehen können und gleichzeitig beim Schaufenster reinschauen können, ohne dass Ihnen vielleicht dabei kotzübel wird, oder auch, damit Sie lesen können. Und, wenn jetzt hier etwas wo nicht passt im Gehirn, dann kann man das an den Augen sehen. Man sieht vielleicht ein Schielen, das vorher nicht da war, man sieht ein Augenzittern, oder vielleicht sind auch einfach die Augenbewegungen gestört. Und wir Orthoptist*innen können dann eben durch genaue Diagnostik punktgenau sagen, da im Gehirn muss eine Schädigung sein, weil diese genau auf diese Augenbewegungsstörung hinpasst. Wodurch dann auch die Diagnostik durch Radiologie und Neurologie verbessert wird, weil man eben auch genau weiß, wo man suchen muss. Und weil Sie jetzt auch schon die visuelle Neurorehabilitation angesprochen haben: Patient*innen eben nach am Schlaganfall oder einem Schädel-Hirn-Trauma oder degenerativen Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Morbus Parkinson, die haben halt auch Sehstörungen, und hier geht es darum, dass man eine Verbesserung der individuellen Lebenssituation erreicht. Das kann zum Beispiel sein, indem man Doppelbilder ausgleicht mit optischen Hilfsmitteln. Vielleicht ist auch ein Lesetraining notwendig, oder ist es eine Anpassung von vergrößerten Sehhilfen erforderlich oder auch einfach ein Training zur besseren Orientierung im Alltag. Das heißt, man schaut sich an, was sind die Bedürfnisse des/der Patient*in, und passt dann individuell die Therapie.

Lisa Baumgartner
Neurologische Ursachen, also bei Schlaganfall, da denkt man immer an ältere Menschen. Aber neurologische Ursachen für Sehstörungen sind ja auch schon bei ganz jungen Menschen möglich, und auch das ist eben ein breites Aufgabengebiet für Orthoptist*innen, was wären da für Beispiele?

Andrea Franzan
Also, das wären zum Beispiel cerebrale visuelle Informationsverarbeitungsstörungen oder auch cerebral bedingte Sehstörungen, kurz CVI genannt. Dabei werden die Sehprobleme von Kindern nicht durch Störungen an den Augen selber verursacht. Es kommt zu einer Veränderung oder Störungen in der Weiterleitung von visuellen Informationen oder einer fehlenden oder falschen Verarbeitung im Gehirn. Kinder haben dann zum Beispiel auch Abschreibfehler, Lesefehler, Orientierungsstörungen im Raum, eine schlechte Orientierung im Heft, Unlust beim Lesen. Sie können Gesichter nicht erkennen, sie stolpern beim Gehen, sie möchten nicht mehr in die Schule gehen.

Lisa Baumgartner
Richtig große Auswirkungen hat das.

Andrea Franzan
Das hat richtig große Auswirkungen. Die Kinder sind dann natürlich sehr frustriert. Es funktioniert auch das Legasthenietraining nicht wirklich, weil ich es eben andere Ursachen habt als die Legasthenie. Risikofaktoren für diese Erkrankung sind: Frühgeburt, Sauerstoffmangel während der Geburt, ein geringes Geburtsgewicht bei Termingeburten, aber auch Alkohol- und Drogenmissbrauch der Mütter während der Schwangerschaft, Trisomie 21-Epilepsie, Gehirntumore und noch ganz, ganz viel andere Probleme.

Lisa Baumgartner
Aber Orthoptist*innen können dabei hilft.

Andrea Franzan
Orthoptist*innen führen eine spezielle Abklärung durch mit eigens von der Berufsgruppe entwickelten Untersuchungsmaterial. Als erstes ist es natürlich wichtig, dass man einen augenärztlichen Befund erstellt und eine orthoptischen Status, dann ein ausführliches Gespräch mit den Eltern führt und dann eben in die ungefähr einstündige CVI-Abklärung geht. Hier werden die wichtigsten visuellen Raumwahrnehmungsprobleme abgeklärt, zum Beispiel, ob Kinder Objekte, Bilder oder Gesichter erkennen können, wie sie sich im Raum orientieren können, ob sie Distanzen abschätzen können und so weiter. Im Anschluss daran wird dann ein Befund erstellt mit Empfehlungen, die wir geben können, zum Beispiel für spezielles Material an Spielen, aber auch, wie Hefte gestaltet werden sollen oder wie ein Arbeitsplatz gestaltet werden soll. Also Kinder, die sowieso schon verwirrt sind, weil sie sich nicht gut orientieren können, sind auf einem Schreibtisch, auf dem sehr viel herum liegt, natürlich nicht gut aufgehoben. Sie sind zum Beispiel überfordert, wenn auf einem Zettel ganz viele Aufgaben stehen. Also entweder werden die Unterrichtsmaterialien dann so gestaltet, dass weniger auf einer Seite draufsteht, oder es gibt eigene Schablonen, die man auf die Texte legen kann, damit nur immer die eine Aufgabe sichtbar ist.

Lisa Baumgartner
Häppchenweise.

Andrea Franzan
Häppchenweise. Aber auch andere Strategien werden empfohlen. Ganz wichtig ist natürlich die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Lehrer*innen, Psycholog*innen, Neuropsycholog*innen, anderen Therapeut*innen und natürlich auch den Eltern.

Lisa Baumgartner
Wir haben gehört, die Orthoptik kann in ganz vielen Bereichen, in der Prävention, Diagnose und in der Rehabilitation mitwirken, und wir haben gesagt: Geburtstag, 50 Jahre dreijährige Ausbildung in Wien. Wohin geht das Berufsfeld? Also, wir haben einen Blick in die Vergangenheit gemacht. Lassen Sie uns auch einen Blick in die Zukunft machen. Wo liegen die Herausforderungen für die Orthoptik?

Andrea Franzan
In den letzten Jahren zeigt sich, dass, immer weniger Augenärzt*innen in die Trage, also in die Schielheilkunde gehen. Das heißt, sehr viele Aufgaben der Fachärzt*innen gehen auf die Orthoptist*innen über, so zum Beispiel die Indikationsstellung zu Schieloperationen oder auch die objektive Brillenbestimmung mittels Skiaskopie oder Schattenprobe. Also da tropft man die Augen weit und leuchtet dann mit einer speziellen Lampe ins Auge und kann anhand der Bewegungen dieses Lichtes, deshalb auch Schattenprobe, feststellen, ob ein Auge kurzsichtig oder weitsichtig ist oder eine Hornhautverkrümmung hat, und kann die dann auch ganz genau bestimmen. Also, diese augenärztlichen Tätigkeiten gehen immer mehr auf die Orthoptist*innen über, das heißt, wir haben da auch schon unsere Ausbildung daraufhin angepasst. Das Nächste, was uns sehr stark beeinflusst, ist der rasche technische Fortschritt und die Digitalisierung. D

Lisa Baumgartner
Inwiefern?

Andrea Franzan
Das trifft uns natürlich auch selber, weil auch unsere Untersuchungsmethoden vermehrt technisiert werden, zum Beispiel Eye Tracking Programme, die Augenbewegungsstörungen feststellen können, aber auch VR-Brillen, mit denen man Augenbewegungen ganz genau untersuchen kann, ziehen ein in unser Berufsfeld. Dann werden auch die ophthalmologischen Untersuchungsmethoden vermehrt technisiert, zum Beispiel das OCT, die Optische Kohärenztomographie, die Schnittbilder des Augenhintergrunds in hoher Auflösung ermittelt, wird auch immer stärker technisiert. Die Bilder werden von künstlicher Intelligenz ausgewertet. Also all diese Dinge ziehen auch bei uns ein. Aber auch unsere Patient*innen sind natürlich davon betroffen, vermehrte Bildschirmarbeit führt zu Augenprobleme, wie wir es schon vorher gehört haben. Aber auch diese VR-Brillen, die uns in die virtuelle Realität hineinführen, können massive Probleme machen. Man spricht dann von Motion Sickness zum Beispiel. Aber auch da, dass man die Personen dann gut berät, optimale Bedingungen zu schaffen, damit sie dann hier auch gut zurechtkommen. Ja, und dann natürlich auch die demografische Entwicklung. Wir werden älter, aber leider nicht gesund älter, und da gibt es auch ganz viele Dinge, die unsere Studierenden dazu hören. Also, es gibt da einen eigenen Bereich der geriatrischen Orthoptik, wo wir zum Beispiel auf die Probleme von Patient*innen mit Morbus Parkinson speziell eingehen. Wir haben eine Lehrveranstaltung im sechsten Semester, die speziell auf die Brillenbestimmung von Patient*innen zum Beispiel mit Diabetes eingeht, weil durch zum Beispiel einen hohen Zucker die Linse, die Augenlinse, stärker aufquillt und man dann plötzlich viel stärker kurzsichtig ist, als man davor war. Und, wenn der Blutzucker wieder normal ist, verschwinden diese Phänomene dann auch wieder.

Lisa Baumgartner
Man kann sagen, auch zukünftig ein breites Tätigkeitsfeld. Was sagen Sie denn Studierenden, die knapp vor dem Abschluss ihres Bachelors stehen?

Andrea Franzan
Dass sie sich auf ein spannendes Berufsfeld mit vielen Herausforderungen freuen können, das auch sehr interdisziplinär angelegt ist, und dass sie nie ohne Arbeit sein werden.

Weitere Informationen:

Bachelorstudium Orthoptik