Genossenschaften als alternative Unternehmensformen in der Sozialwirtschaft

Warum Genossenschaften ein Revival erleben könnten

In Österreich gibt es aktuell rund 1.800 Genossenschaften. Seit dem 19. Jahrhundert spielen sie eine wichtige Rolle, 2012 hat die UN-Generalversammlung zum Internationalen Jahr der Genossenschaften erklärt. Die Genossenschaftsidee findet sich auch auf der UNESCO-Liste des immateriellen Weltkulturerbes. Gemeinsam Ziele leichter erreichen und dabei die Interessen der Mitglieder wahren – ist eines der Hauptargumente für deren Gründung.

Damit sind sie auch für die Sozialwirtschaft eine ideale Rechtsform. In der Spring School des europäischen Masterstudiengangs Sozialwirtschaft und Soziale Arbeit an der FH Campus Wien zeigten nationale und internationale Expert*innen und Studierende Potenziale und innovative  Beispiele auf. Die Spring School findet jährlich statt, fördert internationale Diskussion aktueller Themen der Sozialwirtschaft und ist damit wesentlicher Pfeiler der internationalisation@home-Strategie des Studiengangs. Brigitta Zierer, Studiengansleiterin, und Florentina Astleithner, Lehrende und Forschende, über die Resultate der heurigen Spring School.         

16.6.2021

Lisa Baumgartner
Ein herzliches Hallo von Lisa Baumgartner. Neunmalklug führt uns heute ins Grätzl. Wir gehen gemeinsam einkaufen, Lebensmittel und auch noch andere Dinge. Unser heutiges Thema führt uns zu Bauträgern, zu Social Business, zum neuen Selbständigen. All diesen Unternehmen kann als Rechtsform, nämlich eine Genossenschaft zugrunde liegen. Es gibt noch viele Beispiele, denken wir jetzt einmal an Banken, Molkereien, Winzer*innen und vieles mehr. In Genossenschaften wird ja solidarisch gewirtschaftet und das macht sie auch attraktiv für die Sozialwirtschaft. Warum gerade jetzt? Und welche Potenziale stecken in ihnen? Die Genossenschaftstraditionen und Beispiele aus verschiedenen Ländern - damit hat sich die heurige Spring School auseinandergesetzt. Sie wird veranstaltet vom Masterstudiengang Sozialwirtschaft und Soziale Arbeit. Und vom Department Soziales begrüße ich heute Brigitta Zierer und Florentina Astleithner. Darf ich Sie bitten, sich kurz vorzustellen und auch zu erklären, was ist denn eigentlich die Spring School?

Brigitta Zierer
Mein Name ist Brigitta Zierer. Ich bin Studiengangsleiterin am Masterstudium Sozialwirtschaft und Soziale Arbeit und die Spring School ist ein flexibles Format, in dem wir jährlich ein aktuelles Thema der Sozialwirtschaft bearbeiten. Sie findet drei Tage in Form einer internationalen Studiengangskonferenz mit beiden Jahrgängen unserer Studierenden, das sind insgesamt zirka 100 oder 110 Studierende, und mit externen Interessierten statt.

Lisa Baumgartner
Ebenfalls in unserer Runde heute mit dabei Florentina Astleithner, Lehrende und Forschende im Studiengang. Warum haben Sie das Thema Genossenschaften für die heurige Spring School gewählt?

Florentina Astleithner
Wir haben in diesem Jahr das Thema Genossenschaften aufgegriffen, weil wir eine Diskussion zum Potenzial für die Sozialwirtschaft, aber auch zu den Herausforderungen anstoßen wollten.

Lisa Baumgartner
Bei Genossenschaften geht es ja ums solidarische Wirtschaften. Oft liegt ihnen Gedanken zugrunde wie: Gemeinsam erreichen wir mehr und unsere Interessen können wir dabei gut wahren. Was ist jetzt das Besondere an dieser Wirtschafts- und Rechtsform?

Florentina Astleithner
Genossenschaften können als Teil einer solidarischen Ökonomie gesehen werden. Es wird damit versucht, Antworten zu geben auf die neuen sozialen Unsicherheiten, die sich jetzt ja gerade auch in Zeiten der Pandemie wieder breitmachen oder noch verstärken. Und gleichzeitig wird mit dem solidarischen Wirtschaften auch die Erkenntnis gestärkt, dass wir alle Teile des begrenzten natürlichen Systems sind, d.h. dass die wirtschaftliche Nutzung unserer natürlichen Ressourcen tatsächlich den Erhalt fördern sollte und nicht weiteren Raubbau vorantreiben. Genossenschaften verbindet zwei Strukturen miteinander. Sie sind zum einen eine Solidargemeinschaft und zum anderen ein Wirtschaftsunternehmen. Als Solidargemeinschaft ist die demokratische Selbstbestimmung zentral. Da geht es um Begriffe wie Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung, vor allem auch. Und genau diese Ansätze motivieren die Gründung von Genossenschaften, insbesondere von Sozial-Genossenschaften. Wichtig ist auch noch, dass in einer Genossenschaft alle Mitglieder mitbestimmen können. Es gilt das Prinzip ein Kopf, eine Stimme. Das heißt, dass die Mitentscheidungsmacht nicht an der Höhe der Einlagen oder generell der Finanzkraft orientiert ist. Und ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Mitgliedschaft immer freiwillig ist und auch offen. Das heißt, es ist kein großer Aufwand, einer Genossenschaft beizutreten oder auch wieder auszuscheiden.

Lisa Baumgartner
Sie haben auch den wirtschaftlichen Faktor von Genossenschaften erwähnt ...

Florentina Astleithner
Gleichzeitig ist eben die Genossenschaft auch ein Unternehmen. Das unterscheidet sie auch von Vereinen, d. h. es erwirtschaftet auch Erträge. Und das bedeutet umgekehrt, dass tragfähige wirtschaftliche Geschäftsfelder gefunden werden müssen, um langfristig bestehen zu können. Gewinne, die wiederum erwirtschaftet werden, fließen zurück ins Unternehmen, um die gemeinsamen Ziele dann noch besser umzusetzen. Und ich möchte jetzt noch eine Organisationsfragen aus Deutschland kurz erwähnen. Da wurden Genossenschaften befragt, inwieweit sie sich an wirtschaftlichen Grundsätzen orientieren und das tun sie zu 91 Prozent. Und das ist weit mehr als z.B. gemeinnützige GmbHs oder Stiftungen oder auch Vereine, Vereine beispielsweise nur zu fünfundvierzig Prozent. Und in dieser Befragung wurde auch deutlich, dass die deutschen Genossenschaften, die da untersucht worden sind, fast keine öffentlichen Zuschüsse erhalten, sondern tatsächlich am Markt erwirtschaftete Mittel die wichtigste Finanzierungsquelle darstellen.

Lisa Baumgartner
Die Genossenschaftsidee mit all ihren Vorteilen gibt es ja schon seit dem 19. Jahrhundert. Aktuell scheint sie wieder mehr Bedeutung zu erlangen. Erleben Genossenschaften jetzt ein Revival?

Brigitta Zierer
Wie schon gesagt, Genossenschaften gibt's bereits seit Mitte des 19.Jahrhunderts. Und man kann sagen, dass sich so in den letzten zehn Jahren noch ein paar spezifische zusätzliche Aspekte ergeben haben. 2012 hat z.B. die UN-Generalversammlung zum Internationalen Jahr der Genossenschaften erklärt - ein deutliches Zeichen dafür. Oder, 2019 gab es in der Europäischen Union rund 131.000 Genossenschaften mit mittlerweile mehr als vier Millionen Beschäftigten. Ich denke mal, das ist eine wirklich stattliche Anzahl, die die Bedeutung der Genossenschaften zeigt. Und die EU hat auch 2016 in einer Sachverständigengruppe für soziales Unternehmertum noch zusätzlich empfohlen, Genossenschaften insgesamt als Akteure und Akteurinnen der Zivilgesellschaft stärker zu fördern und hat dazu auch die europäischen Genossenschaften eingeführt. Mit Blick auf Österreich kann man sagen: In Österreich gibt es aktuell rund 1.800 Genossenschaften, mit einer leicht steigernden Tendenz. Und im sozialen Sektor, muss man sagen, ist die Genossenschaft eher etwas Neues, z.B. wie meine Kollegin schon vorhin erwähnt hat, neben den häufigen Rechtsformen Verein oder gemeinnützige GmbHs. Aber das hängt wohl auch damit zusammen, dass gerade in der Gründungsphase von Unternehmen auf das Modell der Genossenschaften nicht so stark Bezug genommen wird.

Lisa Baumgartner
Über die Gründungsphase werden wir ein bisschen später noch sprechen. Wenn ich jetzt an Genossenschaften denke, dann fällt mir als Thema ein: Sparen z.B. oder Einkaufen. Ich sage jetzt nur "Die Kraft am Land" kennen wir alle oder beim Wohnen: Genossenschaftswohnungen sind in jedem Fall ein leistbarer als Eigentumswohnungen. In welchen Bereichen gibt's denn noch Genossenschaften, Frau Astleithner?

Florentina Astleithner
Also es gibt Genossenschaften traditionell in sehr, sehr vielen Bereichen. Die bekanntesten Beispiele sind wahrscheinlich im Wohnbau, wie Sie gerade erwähnt haben, aber auch Konsum, Banken oder auch Energiegenossenschaften. Und außerdem gibt's z.B. auch gewerbliche Genossenschaften, zu denen z.B. auch die Austria Presseagentur oder Sport 2000 zählen. Von denen war mir gar nicht bekannt, dass das eigentlich Genossenschaften sind.
Lisa Baumgartner: Das ist mir neu.

Florentina Astleithner
Ja, ja. Also ich lerne ja auch ständig wieder weiter und neue Details, wenn ich mich mit dem Thema beschäftige. Ja, aber ich möchte jetzt drei Beispiele vielleicht hervorheben, die wir in der Spring School uns genauer angeschaut haben. Und da ist zum einen, weil Sie das Thema Sparen und Einkaufen erwähnt haben, der MILA Mitmachsupermarkt, den ich als ganz besonderes Beispiel sehe. Der soll nämlich in Wien gegründet werden und da gibt es schon eine sehr große Gruppe und einen Vor-MILA-Verein, der schon existiert. Und die werden jetzt demnächst einen Pilotsupermarkt eröffnen, um die Prozesse zu probieren. Und es ist dann geplant in so ein, zwei, drei Jahren, nämlich, wenn ausreichend Mitglieder zusammengekommen sind – also es wird geplant, mit 3.000 Mitgliedern –  dann eine Genossenschaft zu gründen. Und das ist eine Idee, die aus New York und Paris kommt. Also dort gibt's schon sehr große Mitmachsupermärkte. Das Besondere dran ist, dass eben dieser Supermarkt dann von den Mitgliedern verwaltet und betrieben wird und auch den Mitgliedern selbst gehört. Und das heißt, man kann, auch wenn man dann dabei ist, das Sortiment z.B. mitbestimmen. Grundsätzlich ist es ein Supermarkt, der wie andere Supermärkte offen haben wird und eben auch geplant ein Vollsortiment haben wird, alles, was man in einem normalen Supermarkt eben auch findet.

Lisa Baumgartner
Darf man dann nur in diesem Supermarkt einkaufen, wenn man Mitglied in der Genossenschaft ist?

Florentina Astleithner
Genau, nur durch die Mitgliedschaft erwirbt man diese Möglichkeit. Ein anderes Beispiel ist die GrätzlGenossenschaft. Ich habe bewusst Beispiele aus Wien gewählt oder wir haben uns die genau angeschaut in der Spring School. Die GrätzlGenossenschaft ist in einem Stadtentwicklungsgebiet gegründet worden und sie dient eben auch dazu, Alltagsausgaben zu sparen, Ressourcen zu teilen und eine gemeinschaftliche Lebensweise zu fördern. Das heißt, es sollen auch die sozialen Kontakte und der nachbarschaftliche Austausch im Grätzl gestärkt werden. Die Gründung war eben in einem Stadtentwicklungsgebiet, das heißt es ist jetzt auf einer Wiese, wo noch gar nichts besteht. Aber in Zukunft werden da große neue Bauten hochgezogen werden und die Nachbarschaft besteht ja jetzt schon, sie ist mit Wohnungen und Einfamilienhäusern sehr durchmischt. Diese GrätzlGenossenschaft ist ein sozial orientiertes gewerbliches Dienstleistungsunternehmen, das eben auch von seinen Mitgliedern gemeinschaftlich und selbstverwalteten betrieben wird. Das heißt, dass sich die Bewohner*innen, die zukünftigen und die aktuellen, die Gewerbetreibenden im Grätzl zusammenschließen und dann konkret gemeinsame Gegenstände besitzen werden oder die Räume gemeinsam benutzen oder auch Dienstleistungen gemeinsam entwickeln. Also für die Nachbarschaft zum Beispiel. Andere Beispiele, was dann gemeinsam gemacht werden kann, sind offene Werkstätten, Car-Sharing oder eben bestimmte Services für alle Mitglieder. Also zum Beispiel jetzt im Rahmen der Corona-Krise wäre das dann Einkaufen, wo man sich einen Einkaufsdienst zum Beispiel bestellen kann.

Lisa Baumgartner
Ein anderes Beispiel ist ganz in der Nähe von der FH Campus Wien im Süden von Wien beheimatet. Der Zukunftshof, was ist denn das?

Florentina Astleithner
Diese Initiative ist auf einem Gelände eines alten Gutshofs entstanden in Rotneusiedl und möchte die Gebäude, die es dort gibt und das Gelände an sich weiternutzen. Es geht dabei um Stadt-Landwirtschaft, die als visionäre Keimzelle moderner und nachhaltiger Produktion betrieben werden soll. Also, es sind wirklich sehr, sehr spannende, innovative Ideen dabei von Kreislaufwirtschaft, die dort betrieben wird. Also, dass die Abfälle von der eigenen Produktion dann auch für die Nutzung in der anderen dienen

Lisa Baumgartner
Das heißt, es zahlt in Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit ein?

Florentina Astleithner
Genau. Absolut. Und vor allem natürlich auch unter dem Aspekt der Nachnutzung. Und dass diese Gebäude nicht einfach abgerissen werden z.B. Die Idee ist eben auch als Zentrum für einen zukünftigen Stadtteil, der vielleicht in 10, 20 Jahren gebaut wird, schon jetzt zu agieren, also auch schon vorausschauend mit zu planen.

Lisa Baumgartner
Zum Zukunftshof hat gerade das Departement Soziales einen ganz eigenen Bezug.

Florentina Astleithner
Nämlich, dass die Tischlerei Nut&Feder dort in Zukunft vielleicht ihr Zuhause haben wird. Die wird dann auch Teil der Genossenschaft Zukunftshof sein. Diese Tischlerei ist von einem Absolventen gegründet worden, der eben auch die ganze Vorarbeit zur Gründung schon im Rahmen des Studiums gemacht hat.Lisa Baumgartner
In der Sozialwirtschaft ist ja eigentlich eher die Form von Vereinen oder gemeinnützigen GmbHs dominant. Warum entdeckt gerade die Sozialwirtschaft jetzt diese, sagen wir unter Anführungszeichen, "alte" Rechtsform der Genossenschaften?

Florentina Astleithner
In der Sozialwirtschaft gibt sowohl sehr große Träger als auch mittlere und kleinere Organisationen mit unterschiedlichen Rechtsformen von Non-Profit bis Profit. Die sind zum Teil sehr gut und sehr lange etabliert und auf der anderen Seite entstehen aber auch ganz neue Startup-Unternehmen z.B., und die organisieren sich mitunter jetzt auch als Genossenschaften. Aber wie weit diese alte Rechtsform, wie Sie sie jetzt genannt haben, auch in der Sozialwirtschaft schon entdeckt worden ist, ist aus meiner Sicht noch eine offene Frage. Also, es geht wirklich darum, das Potenzial für die Sozialwirtschaft noch auszuschöpfen, würde ich jetzt mal sagen. Es war auch so die Erfahrung aus der Spring School, die wir gemacht haben. Das kann durchaus lohnend sein, also auch die gesellschaftlichen Herausforderungen, die ja zunehmen, eben wie schon beschrieben mit partizipativen, gemeinschaftsorientierten und wirtschaftlichen Rahmensetzung und da zu antworten. Es gibt auf der anderen Seite aber auch Herausforderungen. Zum Beispiel ist die Diagnose gestellt worden, jetzt aus der Forschung wieder, dass personelle und finanzielle Möglichkeiten eigentlich fehlen, dieses Modell in die Breite zu tragen. Und auf der anderen Seite fehlt auch noch so ein Stück die Zusammenarbeit zwischen Genossenschaften und staatlichen Akteuren, also z.B. Gemeinden. Da ist durchaus auch noch ein sehr großes Potenzial, das auszubauen. Auffallend ist auch, das haben uns auch Interviewpartnerinnen und Interviewpartner in der Spring School erzählt, dass es nämlich nicht viele Beratende auch gibt, die auf dieses Modell Genossenschaft überhaupt hinweisen würden, also z.B. Unternehmensberater oder Steuerberater, wenn man sich jetzt mit dem Gedanken trägt, ein Startup zu gründen. Also das heißt, wenn man auf die Idee kommt, eine Genossenschaft zu gründen, dann muss man das eigentlich als Modell schon kennen, das muss einem schon bewusst sein.

Lisa Baumgartner
Da muss schon Eigeninitiative da sein ...

Florentina Astleithner
Genau. Und die Frage, die ich mir besonders stelle, ist so, in welcher Weise die gewachsenen Strukturen im Sozialbereich sich in Zukunft mit dieser Wirtschafts- und Rechtsform auch auseinandersetzen werden. Ob das ein Potenzial ist, wo Kooperationen möglich sind oder ob das einfach den Konkurrenzkampf weiter verstärkt, weil ja grundsätzlich die Mittel auch im sozialen Bereich begrenzt sind und immer wieder Ressourcen mangelhaft sind. Das heißt, für mich ist eigentlich wirklich noch unklar, ob sozusagen die Potenziale eher in den Blick genommen werden, z.B. auch zu kooperieren auch im Rahmen von Gemeinden wirklich unterschiedlichste Akteure miteinander. Oder, ob die Herausforderungen letztlich doch zu groß sind, dass sich dieses Modell breiter durchsetzt.

Lisa Baumgartner
Bleiben wir vielleicht noch ein bisschen beim Begriff Sozial-Genossenschaft Frau Zierer, können Sie uns das nochmal ein bisschen genauer definieren?

Brigitta Zierer
Ich denke, es gibt verschiedene Definitionen dazu, ganz generell. Aber Sozial-Genossenschaften, kann man sagen, ist eine spezifische Form von Genossenschaften, die prinzipiell soziale Dienstleistungen erbringen. Das heißt, sie orientieren sich am Gemeinwohl. Und es gibt verschiedene Formen von Sozial-Genossenschaften, z.B. jene, die vom Betroffenen gegründet wurden. Da möchte ich etwa die Wiener Assistenzgenossenschaft für Menschen mit Behinderung als Beispiel erwähnen. Oder es gibt etwa professionelle Genossenschaften, wo sich Beschäftigte aus dem sozialen Sektor zusammenschließen. Das heißt, man kann sagen, Sozial-Genossenschaften verbinden die Ziele von einer gemeinnützigen bzw. einer Non-Profit-Organisation mit dem Handeln oder den Verfahren einer Unternehmung oder eines Unternehmens.

Lisa Baumgartner
Wie einfach ist in der Gründungsprozess tatsächlich? Wie läuft der im Idealfall ab? Vielleicht können Sie, Frau Astleithner, das kurz anreißen.

Florentina Astleithner
Also, beim Gründen einer Genossenschaft kommen Revisionsverbände ins Spiel. Das heißt, man braucht zur Gründung einer Genossenschaft einen Revisionsverband, bei dem man Mitglied wird. Da gibt's mehrere zur Auswahl. Und dieser Revisionsverband prüft die Geschäftsgebarung jährlich, was den Mitgliedern Sicherheit bietet. Gleichzeitig bieten die Revisionsverbände Beratung. Das ist genau das, was an anderer Stelle vielleicht nicht gefunden wird. Und sie klären im Rahmen des Gründungsprozesses die Frage, ob die Genossenschaft als Modell tatsächlich ein passendes Modell ist für eine bestimmte Geschäftsidee. Also man kriegt Beratung im Vorfeld und Orientierung. Wenn es dann klar ist, dass man gründen möchte, braucht man zumindest zwei Genossenschafter oder Genossenschafterinnen und dann auch eine Satzung. Und in der Praxis läuft es meistens so ab, dass es bereits eine größere Gruppe gibt, die zusammenarbeitet, diese Satzung auch gemeinsam entwickelt und dann gemeinsam die Genossenschaft gegründet. Wie ich das z.B. bei MILA auch beschrieben habe. Da gibt es schon Vorarbeiten dazu.

Lisa Baumgartner
Worauf ist noch Rücksicht zu nehmen? Dann nehmen wir das Beispiel mit der Tischlerei oder Wohnungsgenossenschaften?

Florentina Astleithner
Wenn ein Gewerbe in einer Genossenschaft ausgeübt wird, wie z.B. bei Wohnbaugenossenschaften, dann braucht es auch noch einen gewerberechtlichen Geschäftsführer oder eine Geschäftsführerin. Und in der Gründungsversammlung wird dann unter anderem die Satzung beschlossen, die ins Firmenbuch eingetragen wird. Das heißt, es wird eben auch ein Firmenname im Firmenbuch vermerkt mit dem Zusatz eingetragene Genossenschaft oder eben abgekürzt eGen oder eG. Also, wenn man diese Kürzel wo liest, dann weiß man, es handelt sich um eine Genossenschaft. Von Rechts wegen ist kein Mindestkapital erforderlich und der Mittelbedarf, den man aufbringen muss, der richtet sich allein nach den Erfordernissen der Genossenschaft und der Geschäftsidee.

Lisa Baumgartner
Mit dem Thema Genossenschaften haben sich die Studierenden ja im Masterstudiengang Sozialwirtschaft und Soziale Arbeit ganz intensiv beschäftigt und, wir haben es schon erwähnt, im Rahmen der heurigen Spring School. Welche Bedeutung hat denn die Spring School für den Masterstudiengang, Frau Zierer?

Brigitta Zierer
Man kann sagen, unser Studiengang hat durch den Joint Degree mit sechs ausländischen Partnerhochschulen insgesamt eine starke internationale Ausrichtung. Und da gehört die Spring School dazu als ein Teil davon, von den Aktivitäten, die wir gemeinsam mit Partnerhochschulen abwickeln und gemeinsam verantworten. Um die Spring School beschäftigt sich mit aktuellen Themen der Sozialwirtschaft.

Lisa Baumgartner
Beispiele?

Brigitta Zierer
Wir haben uns letztes Jahr z.B. auseinandergesetzt mit Sharing Economy oder im Jahr davor mit alternativen Wirtschaftsformen. Eine Variante davon, also von alternativen Wirtschaftsformen, wie wir sie sehen, sind Genossenschaften, weil wir finden, dass die eigentlich bislang viel zu wenig in der Sozialwirtschaft genutzt wurden. Und wir wollen eigentlich den Studierenden oder unseren externen Interessierten, zu denen auch die Absolvent*innen gehören, damit auch neue Anregungen geben, diese Wirtschaftsform ganz konkret zu nutzen.

Lisa Baumgartner
Wie profitieren denn die Studierenden generell von der Spring School? Welche Kompetenzen werden denn da geschärft?

Brigitta Zierer
Ja, ich denke mal, das sind viele, die da gleichzeitig geschärft oder eingeübt werden. Prinzipiell erleben sich die Studierenden in einem internationalen Konferenz-Setting, auch unter Covid-Bedingungen, wo wir die Konferenz über Zoom durchführen mussten. Die Studierenden lernen dann neue Inhalte kennen, die sie aber selbst ganz konkret weiterdenken und auch anwenden lernen. Darüber hinaus erproben sie sich in Teamarbeit. Sie müssen aber auch digitale Tools umsetzten und zur Anwendung bringen. Und sie präsentieren dann auch ihre Ergebnisse aus diesen Arbeitsgruppen gegenüber externen Expertinnen und Experten. Und durch die Einbeziehung von konkreten Praxis-Organisationen fließt auch viel von diesen kreativen Lösungen, die die Studierenden erarbeitet haben, auch wieder zurück in diese Organisationen. Das heißt, man kann in diesem Zusammenhang von einer Win-Win-Situation sprechen, für beide Seiten oder beide Beteiligten. Und ganz wesentlich wird die Fähigkeit zum vernetzten Denken gefördert. Und das ist ja eine absolut wichtige Kompetenz für künftige Leitungskräfte in der Sozialwirtschaft.

Lisa Baumgartner
Sie haben gerade erwähnt, die Studierenden haben eben ko-kreative Lösungen erarbeitet. Und zwar haben sie in Gruppen gemeinsam sozialgenossenschaftliche Ideen entwickelt. Die Ideen haben sie dann vor einer Expert*innenjury gepitcht. Welche Ideen haben Sie persönlich besonders beeindruckt?

Brigitta Zierer
Mich haben insgesamt beeindruckt, mit welcher Ernsthaftigkeit und Realitätsnähe die Studierenden ihre Praxisbeispiele ganz generell bearbeitet haben. Und spannend war dabei auch, dass einige tatsächlich dieses Thema weiter bearbeiten möchten in ihrer Masterarbeit. Und insgesamt, glaube ich, ist klar die Botschaft gelandet, dass die Genossenschaft als Wirtschafts- und Rechtsform bislang auch wirklich viel zu wenig Beachtung in der Sozialwirtschaft gefunden hat. Also, ich denke mal, die Nachwirkungen und auch das Feedback der Student*innen zeigt es ganz deutlich für uns.

Lisa Baumgartner
Frau Astleithner, wie haben sie als Jurymitglied die Ideen der Studierenden empfunden?

Florentina Astleithner
Mich hat besonders gefreut und beeindruckt, dass auch Studierende selber Ideen eingebracht haben. Und das war zum einen ein Nutzungskonzept. Das war eine fiktive Idee und eine fiktive Ausschreibung, die da entworfen worden ist, für einen alten Meierhof in einem burgenländischen Dorf, der auch sowas wie Dorfentwicklung dann anstoßen soll. Und eine weitere Gründungsidee, die ist jetzt schon sehr konkret und wird wahrscheinlich vermutlich auch umgesetzt werden. Das ist eine Idee zu einem Beschäftigungsprojekt in Linz. Das sollen Menschen mit Fluchterfahrung gerettete Lebensmittel verarbeiten und dann auch vertreiben. Und das ist ein Projekt, das in der Spring School bereits auf an eine andere Lehrveranstaltung aufbauen konnte, nämlich die Lehrveranstaltung Unternehmensgründung, in der ist schon ein erstes Konzept und Geschäftsmodell für diese Gründungsidee entwickelt worden. Und der Titel davon ist WIR eGen – Wirken in der Region. Das fand ich wirklich ganz etwas Besonderes.

Lisa Baumgartner
Das heißt, die Studierenden sind fleißig schon selber am Grünenden und am Start-uppen, sozusagen. Wie steht es denn überhaupt um das Potenzial puncto Entrepreneurship beim Masterstudium Sozialwirtschaft und Soziale Arbeit?

Brigitta Zierer
Ja, ich glaube, einige unserer Studierenden kommen ja mit einer ganz konkreten Gründungsidee bereits ins Studium oder beschäftigen sich mit dieser Idee und kommen deshalb zu uns. Wir haben mittlerweile auch einige Absolventen und Absolventinnen, die eine eigene Gründungsidee umgesetzt haben. Und dazu hat sicherlich ganz wesentlich beigetragen die Lehrveranstaltung Unternehmensgründung, wo die Studierenden einen Businessplan kennenlernen, aber auch die Finanzquellen und rechtlichen Grundlagen - Stichwort Gewerberecht - um ein Unternehmen zu gründen. Wir haben darüber hinaus die Lehrveranstaltung Finanzierung und Förderwesen oder auch EU-Förderungen, die ja in der Gründungsphase besonders hilfreich sein können, und ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass wir als FH ja auch unser Start Up-Center haben, das mittlerweile auch einige Studierende aus unserem Studiengang genutzt haben, um ihre Unternehmensidee umzusetzen.

Lisa Baumgartner
Das heißt, die Werkzeuge bekommen sie und sie nutzen sie auch gerne?

Brigitta Zierer
Genau.

Lisa Baumgartner
Ich habe von den Studierenden die Conclusio zur Spring School mir anschauen dürfen. Die Studierenden haben als Conclusio mitgenommen, dass Genossenschaften viele Vorteile haben. Also z.B. sind Genossenschaften eine zukunftstauglich Alternative, eine gute Form des gemeinsamen Wirtschaftens mit einer einfachen Handhabung für die Mitglieder, sie sind eine nachhaltige Wirtschaftsform, demokratisch und transparent. Das sagen die Studierenden. Was ist denn so Ihr persönliches Resümee von der Spring School 2021?

Florentina Astleithner
Also, mich hat das Engagement der Studierenden und auch der Elan, den sie sich daraus mitgenommen haben, sehr inspiriert, selber auch mit dem Thema wieder weiterzuarbeiten. Also ich habe beschlossen, ich werde auf jeden Fall mich auch in Zukunft damit intensiv beschäftigen, z.B. weitere Masterarbeiten betreuen oder auch vor allem Veranstaltungen an der FH ermöglichen. Z.B. zur Frage Förderungen für Genossenschaften oder auch zur Intensivierung des Austausches zwischen staatlichen Akteuren und Genossenschaften, wo wir wahrgenommen haben, dass da noch Entwicklungspotenzial ist.

Lisa Baumgartner
Frau Zierer darf ich Sie um Ihr Resümee bitten?

Brigitta Zierer
Ich würde sagen, wir haben als Team an unserem Studiengang, dass die inhaltliche Vorbereitung ausgerichtet hat, wie jedes Jahr wieder sehr viel dazugelernt. Und das ist etwas, was wir für die permanente Weiterentwicklung an unserem Studienprogramm gut nutzen können. Wir haben neue Kooperationen geknüpft mit zwei verschiedenen Universitäten, die sich sehr interessiert gezeigt haben, mit uns weiterzuarbeiten. Und wir haben alle miteinander auch gemerkt, dass ko-kreatives Arbeiten insgesamt eine Form ist, die Spaß macht, die innerhalb kürzester Zeit ganz tolle Lösungen für die Studierenden ermöglicht. Und das wollen wir auch weiterentwickeln und in verschiedenen Formen in die Lehrveranstaltungen einbringen.