Im Gesprächsmittelpunkt: die Patient*innen

Wie patient*innenzentrierte Gespräche richtig geführt werden.

Erkennen, was die Patient*innen denken und wissen, ob diese mich verstanden haben. Kommunikation ist für Therapeut*innen in Gesundheitsberufen ein essenzieller Grundbaustein. Lehrende aus Gesundheitswissenschaftlichen Studiengängen haben dazu eine fokussierte Ausbildung absolviert und geben diese Kompetenzen an die Studierenden weiter. Welche Methoden zu einer hohen Gesprächsqualität beitragen, erklären Petra Schwab vom Studiengang Ergotherapie und Diätologin Sonja Visontai.

Datum: 25.2.2022

Im Gesprächsmittelpunkt: die Patient*innen

Teil 1 - Petra Schwab im Interview

Lisa Baumgartner
Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen, Lisa Baumgartner, mein Name. Wie fühlen Sie sich heute? Ja, leider können Sie mir nicht direkt antworten, aber wären wir zum Beispiel in einer Therapiesituation, Sie Patient oder Patientin und ich Ihre Therapeutin, dann wäre nun Raum und Zeit für Ihre Antwort. Es würde sich also ein Gespräch entwickeln, in dem es um Sie und Ihre Gesundheit geht. Patient*innen im Mittelpunkt als Grundbaustein in der Therapie - das fokussieren an der FH Campus Wien, die gesundheitswissenschaftlichen Studiengänge Ergotherapie, Diätologie, Physiotherapie und Logopädie. Lehrende haben einen Trainer the Trainer-Lehrgang zur patient*innenzentrierten Gesprächsführung absolviert und implementieren diese Kompetenzen im Studium. Eine davon: Ergotherapeutin Petra Schwab. In der Ergotherapie, Frau Schwab, warum ist Kommunikation in Ihrem Fachgebiet so wichtig?

Petra Schwab
Die einfachste Antwort dazu ist: Als Ergotherapeutin arbeiten wir mit Menschen. Und um es mit Paul Watzlawick zu sagen: In der Interaktion mit Menschen können wir nicht nicht kommunizieren.

Lisa Baumgartner
Um welche Themen und Inhalte drehen sich denn Gespräche zwischen Ergotherapeut*innen und Patient*innen?

Petra Schwab
Im Zentrum unsere Aufmerksamkeit in der ergotherapeutischen Arbeit steht ja die Handlungsfähigkeit der jeweiligen Person oder Personengruppen, und zwar in Bezug auf ihren individuellen Alltag. Und wir müssen also schon ganz zu Beginn einmal beim Erstkontakt erfahren, wie der individuelle Alltag einer Person ausschaut. Wo es Schwierigkeiten oder Problemlagen gibt, um dann in weiterer Folge in der Therapie mit den Klient*innen gemeinsam Lösungsstrategien zu entwickeln und zu erarbeiten. Und all das braucht natürlich eine intensive Kommunikation auf Augenhöhe mit den betroffenen Menschen.

Lisa Baumgartner
Welche Krankheitsbilder kann ich mir denn dabei vorstellen? Was sind denn so die häufigsten Fälle, die in der Ergotherapie zu therapieren sind?

Petra Schwab
Das ist jetzt eine Antwort, die man fast so nicht pauschal sagen kann. Nachdem wir als Ergotherapeut*in natürlich sehr stark im Gesundheitswesen verortet sind, aber nicht nur, sondern auch im Sozial- oder Bildungswesen tätig sein können, manche Ergotherapeut*innen sind sogar im Justizbereich zum Beispiel tätig. Aber, im Grunde genommen können das Menschen mit Problemlagen sein, die jetzt einen rein physischen, körperlichen Ursprung haben, also zum Beispiel Menschen nach einer Handverletzung, Menschen nach einem Schlaganfall. Das können Personen sein, wo die Problemlage eher eine psychische Ursache hat. Vielleicht, was man in den letzten zwei Jahren durch die Pandemie zum Beispiel stark immer wieder in den Medien auch gehört hat, wie groß zum Beispiel der Anstieg an Kindern und Jugendlichen mit psychiatrischen Problemlagen ist, wäre so ein Beispiel. Ergotherapeut*innen arbeiten natürlich auch im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention, damit es gar nicht erst zu gesundheitlichen Problemen kommt. Und da können auch soziale Themen, die im Sinne von sozialen Determinanten von Gesundheit eine Rolle spielen, zum Beispiel, in unserem Fokus liegen.

Lisa Baumgartner
Das heißt, Ergotherapie ist nicht nur im Krankenhaus tätig, sondern auch in anderen Settings.

Petra Schwab
Genau. Krankenhaus ist das, was wahrscheinlich viele Menschen assoziieren mit Therapie, grundsätzlich oder auch Reha-Zentren. Aber, Ergotherapeut*innen arbeiten ebenso gut in allen Bereichen des Gesundheitswesens. Und da gehört natürlich neben der Akut auch Reha und Langzeit, aber auch Gesundheitsförderung und Prävention dazu. Und wir arbeiten eben aber auch im mobilen Bereich. Also zum Beispiel, das betriebliche Gesundheitsmanagement der FH Campus Wien, also die Angebote für die Mitarbeiter*innen hier im Haus, wird von einer Ergotherapeutin geleitet. Ein anderes Beispiel: die schulbasierte Ergotherapie. Da geht es darum, dass Ergotherapeut*innen jetzt nicht mit einzelnen Kindern im eigentlichen Sinn arbeiten oder nicht nur, sondern mit Pädagoginnen und Pädagogen, mit den Eltern, mit den Direktor*innen zum Beispiel. Konkret, in vielen schwulen Volksschulen gibt es Tische und Sesseln, die sind nummeriert von eins bis vier, je nach Schulstufe und eine Klasse für Kinder in der ersten Volksschule wird ausgestattet mit Tisch Nummer 1 und Sessel Nummer Eins 1 und diese Tischhöhen und Sesselhöhen sind für viele Kinder gar nicht geeignet. Da wäre so ein Ansatz zu Schulbeginn gemeinsam durch zu schauen, welches Kind braucht eigentlich welche Sessel- und Tischhöhe um stabil zu sitzen, um zum Beispiel dann gut überhaupt schreiben lernen zu können? Oder noch in anderen Bereichen: die häusliche Ergotherapie für Menschen mit Demenz und deren Angehörige. Da gibt es zum Beispiel in Wien die mobilen Therapeut*innen, die hier ein konkretes Programm anbieten, wo vor allem mit Angehörigen die demenzerkrankte Menschen zu Hause betreuen, gearbeitet wird, um den gemeinsamen Alltag möglichst einfach und auch mit einer möglichst guten Lebensqualität zu gestalten. Oder wieder ein anderes Feld: Ergotherapeut*innen Justizanstalten, wo mit Menschen gearbeitet wird, die im Sinne der Forensik, als ein Teilbereich der Psychiatrie eigentlich, Ergotherapeut*innen eben auch mit Menschen im Strafvollzug arbeiten.

Lisa Baumgartner
Das heißt, die Patient*innen der Ergotherapie sind sehr breit gefächert, was das Alter betrifft, was Gesundheits- oder Krankheits-Background betrifft. Sie haben jetzt gemeinsam mit Kolleg*innen in einem Train the Trainer-Workshop patient*innenzentrierte Kommunikation fokussiert. Welche Methode, die Sie dabei durchgegangen sind, war für Sie besonders prägend?
Petra Schwab: Besonders hilfreich habe ich so die Prinzipien der sogenannten ALOBA-Methode gefunden. ALOBA steht für Agenda-Led Outcome-Based Analysis. Grundsätzlich ist die ganze Trainerausbildung nach dem Konzept von Kurtz, Silverman und Draper entwickelt und wird von der Österreichischen Plattform Gesundheitskompetenz sozusagen als Trainerausbildung angeboten. Und innerhalb dieses gesamten Trainings, wo es eben um patient*innenzentrierte Gesprächsführung geht, wird eben diese ALOBA-Methode genutzt, um ein Training oder einen Unterricht zum Thema patient*innenzentrierter Gesprächsführung gut zu strukturieren. Und das, was ich dabei besonders spannend fand, als Ergänzung zu dem, was wir in der Ergotherapie-Ausbildung sowieso alles an Kommunikationsinhalten und -unterrichten schon haben, ist, dass hier ganz stark strukturiert auf die individuellen Lernziele der Lernenden fokussiert wird. Das wird ganz im Detail vorbereitet und besprochen, schriftlich festgehalten. Es wird dann ganz stark fokussiert auf: Woran kann ich erkennen, wenn jemand übt, dass er jetzt genau auf diese Dinge achtet? Und es wird mit sehr viel Feedbackschlaufen, mit sehr viel Üben, Üben und nochmal üben gearbeitet. Und das Ganze noch in einem Setting, wo es darum geht, dieses Üben wirklich auch förderlich zu gestalten für die Lernenden.

Lisa Baumgartner: Wie kann ich mir das vorstellen? Ist da tatsächlich eine Therapie-, also eine Gesprächssituation? Und wer ist denn da Patient oder Patientin?

Petra Schwab
Ein wesentliches Element bei dieser patient*innenzentrierten Gesprächsführung ist, dass man hier mit Schauspielpatient*innen arbeitet. Das heißt, wenn ich sonst zum Beispiel mit Studierenden Kommunikation erarbeite im Unterricht, dann ist es oft so, dass Studierende aneinander etwas üben oder, dass sie vielleicht im Selbststudium dann mit Personen aus ihrem Bekannten- oder Verwandtenkreis das üben. Hier, bei dieser Methode, arbeiten wir mit Schauspielpatient*innen, die auch ein spezielles Training durchlaufen haben, um hier in diesen Übungskontexten dann auch wirklich ein sehr gut strukturiertes und punktgenaues Feedback geben zu können. Und das heißt, dass die Einheiten, die wir gestalten, natürlich ein bestimmtes Thema, eine Agenda haben. Also, zum Beispiel könnte eine Übungseinheit sein: Es geht um Kontaktaufnahme und den Start des Beziehungsaufbaus. Ja, und dann wissen alle Studierenden Bescheid. Okay, heute geht es um diesen Schwerpunkt. Dann wird gemeinsam erarbeitet: Was sind bisher vielleicht auch Hürden gewesen in der Kontaktanbahnung mit Patient*innen? Was sind Fertigkeiten oder Skills, die man einsetzen kann, um gut in Kontakt mit Personen zu kommen? Also, woran erkennt man, wenn man bei einem Gespräch zuschaut, dass jemand gut in Kontakt kommt? Das wird zuerst erst mit der Gruppe gesammelt und dann eine erste Person, die dann übt, die definiert dann noch einmal für sich, auf welche Aspekte Sie jetzt ganz besonders achten möchte. Der Rest der Gruppe hat die wichtige Funktion, wirklich auf diese Ziele und Fertigkeiten, die sich die jeweilige Lernende vornimmt, zu achten. Hier im Beobachten sehr viel mit zu dokumentieren, um in der Feedbackrunde dann ganz klar auch rückmelden zu können: Das habe ich gesehen, dass du gemacht hast, mit dem und dem Erfolg, und dort und dort könnte ich mir vielleicht vorstellen, dass noch etwas anderes vielleicht hilfreicher gewesen wäre. Also, es sind wirklich alle Lernenden aktiv beteiligt und auch die Schauspielpatient*innen geben nach jeder kurzen Übungssequenz Feedback an die individuell Lernende. Als Trainerin oder Lehrende hat man da die Aufgabe, eben hier auch gut zu koordinieren zwischen der Selbsteinschätzung der einzelnen Lernenden, den Feedbacks, die kommen von den anderen Lernenden und den Schauspielpatient*innen.

Lisa Baumgartner
Das erscheint mir alles ein sehr intensives Training. Wie anstrengend ist es denn tatsächlich?
Petra Schwab: Also, ich erinnere mich noch an manche Einheiten während der Trainer*innenausbildung, die waren unglaublich anstrengend, aber jetzt nicht anstrengend im Sinne von unangenehm, sondern anstrengend im Sinne von sehr intensiv, weil man eben mit so einer hohen Aufmerksamkeit dabei sein muss, egal in welcher Rolle. Also egal, ob ich jetzt gerade mit der Schauspielpatientin direkt ein Gespräch führe oder mir das Feedback von den anderen anhöre. Oder, ob ich beobachtende Teilnehmende bin, die weiß, dass sie nachher ein sehr konkretes Feedback geben soll oder muss. Genau, also von dem her ist es eine hoch konzentrative Übungsweise, die auch gut Pausen dazwischen braucht, die aber auch eine sehr, sehr spannende Übungssituation ist.

Lisa Baumgartner
Sie haben vorhin von Schauspiele r*innen gesprochen, die eben die Patient*innen simulieren. Woher kommt die denn? Sie haben auch gesagt, diese haben eine besondere Ausbildung?

Petra Schwab
Also, die Schauspieler*innen, die können wir engagieren über den Schauspielpatient*innen-Pool, der auch an der MedUni Wien genutzt wird. Und, der ist entstanden in den letzten Jahren in der Zusammenarbeit MedUni Wien, in der Zusammenarbeit mit der Österreichischen Plattform für Gesundheitskompetenz, die auch dieses Training gemeinsam mit europäischen und außereuropäischen Partner*innen entwickelt haben. Und die Schauspieler*innen, das sind also an sich professionelle Schauspieler*innen, die, wo auch immer ihre Schauspielausbildung gemacht haben, und die dann noch ein Training durchlaufen, wo sie eben vor allem auf dieses Feedbackgeben an die Übenden geschult werden und natürlich auch so mit der Zeit ihre Expertise in Bezug auf verschiedene Patient*innenrollen natürlich auch noch weiterentwickeln.

Lisa Baumgartner
Wir erfolgt jetzt die Umsetzung im Studium. Wie profitiert die Studierenden davon?

Petra Schwab
Die tatsächliche Umsetzung bei unserem Studiengang ist so, dass wir schon seit ein paar Jahren in einzelnen Lehrveranstaltungen Schauspielpatient*innen mit im Boot haben, aber in den letzten Jahren noch nicht so explizit in Anlehnung an die Calgary-Cambridge-Struktur. Das was wir jetzt durch den Trainer-Kurs neu und fix im Curriculum verankert haben, ist, dass bei uns Studierende schon im zweiten Semester, bevor sie dann in ihr erstes Praktikum gehen, Übungsstunden mit Schauspielpatient*innen haben. Und da geht es vor allem wirklich so um die Situation Erstgespräch mit Patient*innen in verschiedenen Fachbereichen. Es gibt dann Rollenbeispiele von: eine ältere Dame in einer Langzeiteinrichtung oder jemand mit einer Handverletzungen in einem Akut-Krankenhaus oder eine Person mit einer psychischen Problemlage, die eben zum ersten Mal auf die Therapeutin oder den Therapeuten trifft. Also, da fokussieren wir im zweiten Semester mal auf wirklich diese Erstgespräch-Situation.

Lisa Baumgartner
Sodass die Studierenden dann gut vorbereitet in ihr Praktikum starten können...

Petra Schwab
Damit die Studierenden hier auf jeden Fall eben die Möglichkeit hatten, in Situationen zu üben, die jetzt über das "Wir üben aneinander" hinausgehen. Und der Vorteil der Schauspielpatient*innen ist natürlich, diese Schauspieler*innen sind den Studierenden meistens unbekannt. Die nehmen eine Rolle ein, können natürlich aufgrund ihrer Professionalität diese Rolle auch sehr gut darstellen. Was, wenn die Studierenden selber Patientenrollen einnehmen, nicht immer so leicht ist für Studierende. Da ist der Schauspielhintergrund natürlich sehr hilfreich. Das heißt, es ist näher an der Realität, tatsächlich mit einer Patientin oder einem Patienten zu sprechen, als wenn sie es nur aneinander übern. Und, es hat aber auch den Vorteil, dass die Studierenden trotzdem wissen, diese Person, auch wenn diese hier jetzt zum Beispiel einen schwer betroffenen Patient gespielt wird, es ist kein Patient, der tatsächlich so schwer betroffen ist. Es nimmt noch ein bisschen den Stress raus und macht aber trotzdem diese Spannung, ich muss mich da tatsächlich auf jemand einlassen, den ich noch nicht kenne.

Lisa Baumgartner
Wie kommen denn diese Trainings bei den Studierenden an?

Petra Schwab
Also, dieses konkrete Training, so im Rahmen der Trainer*innen-ausbildung, da hatten wir bis jetzt mit zwei Studierendengruppen Übungen. Das erste war eine kürzere Einheit und die wurde auch mitgefilmt, weil wir die für unsere eigene Trainer*innenausbildung als Übungsvideo gebraucht haben. Da war zu merken, dass natürlich die Kameras ein bisschen bremsend waren, und die Studierenden doch etwas verhalten gewirkt haben. Ein zweites Mal hatten wir dann längere Übungseinheiten schon mit Zweitsemestrigenstudierenden. Also, ich hatte den Eindruck und auch so vom Feedback, das sie es sehr spannend gefunden haben, hier wirklich konkret üben zu können. Ja, dass sie schon den Eindruck hatten, dass sie sich da für die Gesprächsanbahnungen mit realen Patient*innen gut etwas mitnehmen können. Und, dass dieses Üben, wo ja viele Personen hintereinander auch drankommen, also man sieht auch immer, wie verschiedene Personen in einer ähnlichen Situation agieren, dass das als hilfreich erlebt wird, zu sehen, auf wie viele unterschiedliche Arten man etwas machen kann, um zu einem ähnlichen Ergebnis zu kommen.

Lisa Baumgartner
Welche Aufgabe als Trainerin sehen Sie dabei noch besonders als wichtig an?

Petra Schwab
Was ich bei den Übungssettings in der Gesprächsführung auch ganz wichtig finde, damit diese gut laufen, ist, eine förderliche Lernatmosphäre zu gestalten und da gehört ganz, ganz zentral dazu, dass man in diesen Übungssettings immer sagt: Es geht nicht darum, die Dinge richtig zu machen, sondern es geht darum, auszuprobieren, wie man an eine Gesprächssituation herangehen kann oder an einem bestimmten Moment in einer Gesprächssituation agieren kann. Und Studierende werden dazu aufgefordert: Es dürfen Fehler passieren, man kann wirklich einmal etwas ausprobieren, wo man sagt: Ich glaube nicht, dass ich das mit einem richtigen Patienten tatsächlich jemals so sagen würde, so tun würde. Also, so dieses Einladen zu experimentieren und es dürfen auch Sachen schiefgehen. Es geht einfach darum, auszuprobieren.

Teil 2 - Sonja Visontai im Interview

Off-Sprecher: Thema des heutigen Podcasts?

Lisa Baumgartner
Mit Patient*innen effektiv kommunizieren, Gespräche führen, die zu Vertrauen führen und schließlich dann auch einen hohen Gesundheits-Outcome bringen - darum geht es in der heutigen Folge von neunmalklug. Was das für den Bereich Diätologie bedeutet, dazu spreche ich mit Sonja Visontai. Hallo, Frau Visontai. Auch Sie haben sich in einer Fortbildung der Österreichischen Plattform Gesundheitskompetenz sich als Trainerin für patient*innenzentrierte Gesprächsführung zertifiziert und implementieren diese Kompetenzen in das Studium Diätologie. Um welche Inhalte geht es denn in der Kommunikation mit Patient*innen oder Klient*innen denn in Ihrer Profession?

Sonja Visontai
Ja, in der Diätologie geht es primär mal um Ernährungsberatung und Ernährungstherapie. Diätologinnen sind gemäß des MTD-Gesetzes dazu befähigt, nach ihren fachlich-methodischen Kompetenzen eigenverantwortlich die Diätberatungen, Ernährungsberatung und Ernährungstherapien durchzuführen. Und Diätolog*innen sind die einzige Berufsgruppe neben Ärzt*innen, die auch kranke Personen beraten dürfen. Ohne ärztliche Zuweisung dürfen wir gesunde Personen in der Prävention beispielsweise beraten.

Lisa Baumgartner
In einer Ernährungsberatung. Gibt es da ein bestimmtes Schema, dem Sie folgen? So quasi einen fixen Ablauf?
Sonja Visontai: Ja, wir haben den sogenannten Diätologischen Prozess. Das ist ein Prozessmodell, das als Teil der medizinischen Gesamttherapie für die Beratung dienlich ist. Das ist ein sehr strukturiertes Vorgehen und trägt damit maßgeblich zur Qualitätssicherung und zur Professionalisierung der Berufsgruppe somit bei. Und den Studierenden werden eben die Grundlagen dieses Diätologischen Prozessmodels und natürlich dann auch der Beratungstechnik im Bachelorstudium vermittelt.

Lisa Baumgartner
Was ist denn das A und O in der Beratung, damit die Therapie anschlägt und auch erfolgreich ist?

Sonja Visontai
Klient*innen und Patient*innen werden partizipativ in diesen Prozess einbezogen und dazu bedarf es kommunikativer Kompetenzen im Beratungsprozess und das Bewusstsein, dass diese patientenzentrierten Gespräche nicht notwendigerweise länger dauern. Mit den Klient*innen oder Patient*innen werden im Rahmen der diätlogischen Intervention klient*innen- bzw. patient*innenzentrierte Maßnahmenziele definiert. Diese Therapiezielfindungsprozesse, der reicht von der Zieldefinition über die Zielfindung hin zu einer Zielbindung und letzten Endes auch zur Umsetzung. Und diese Ziele werden dann natürlich mit der Diätologin, mit dem Diätologen im Gespräch auch evaluiert. Das heißt, wir schauen in den Gesprächen auch mit den Klient*innen und Patient*innen: Können sie in ihrem realen Leben dann diese Ziele, die wir mit ihnen in einer Gesprächssituation vereinbaren, auch tatsächlich umsetzen? Weil, das ist ja der springende Punkt bei der Ernährungsberatung. Ich kann viele Vorgaben machen und mit dem Patienten vereinbaren, was umzusetzen ist. Aber der springende Punkt ist immer der: Wie schaut's denn im realen Leben aus? Wenn der wieder im Beruf steht, ist das, was wir uns vorher gut überlegt haben, tatsächlich für den auch machbar? Und daher ist es ganz notwendig, dass das immer wieder, wenn wir den Patienten öfter sehen, auch evaluiert wird.

Lisa Baumgartner
Welche Effekte bringt denn eine gute Gesprächsführung? Auf welche Punkte werden Studierende besonders aufmerksam gemacht?

Sonja Visontai
Ja, sie lernen unterschiedliche Gesprächsmodelle und das ist ganz wichtig, damit man letzten Endes eine gute Gesprächsqualität auch hat und nicht um den heißen Brei herumredet in einer Diätberatung. Je mehr Struktur ich im Kopf habe, und die muss man natürlich erlernen - das ist jetzt die Struktur dieses Diätologischen Prozesses, den wir haben, und auf der anderen Seite aber auch die Strukturen, die wir durch unterschiedliche Kommunikationstools bekommen - je mehr Struktur ich habe und mich an etwas quasi anhalten kann, desto leichter kann ich wesentliche Aspekte in der Beratung hervorheben. Und mit den Patient*innen oder Klient*innen dann auch besprechen. Das heißt aber dadurch, dass ich eine hohe Gesprächsqualität habe und sehr effektiv beraten kann, trägt das zusätzlich zu einer Entlastung des Gesundheitssystems bei. Und eben im Rahmen von diätologischen Beratungsgespräche kann man eben diese Gesundheitskompetenz in der Prävention der Bevölkerung stärken.

Lisa Baumgartner
Sie sind nun zertifizierte Trainerin für patient*innenzentrierte Kommunikation, und zwar nach den Calgary Cambridge Guides. Diese Guides sind ein evidenzbasierter Leitfaden. Können Sie das genauer beschreiben?

Sonja Visontai
Diese Calgary Cambridge Guides sind oder haben eine vorgegebene Struktur. Das sind verschiedenste Punkte, wir haben einen Gesprächseinstieg, indem wir uns einmal präsentieren, sagen, wer wir sind, und versuchen einen Beziehungsaufbau zu der Klientin, zu dem Patienten zu finden. Letzten Endes geht es dann natürlich auch um die Informationsvermittlung. Und natürlich im Rahmen dieser Informationsvermittlung spielt dann auch wiederum unser Prozessmodell hinein, wo wir sagen: Ja, wir müssen auch wiederum Ziele finden und die Patient*innen versuchen, an diese Ziele zu binden. Aber letzten Endes geht es natürlich auch dann wieder darum, einen guten Gesprächsabschluss zu finden und auch den Klienten und Patienten Feedback zu geben in angemessener Art und Weise auf die Fragestellungen, die sie haben.

Lisa Baumgartner
Was könnten das beispielsweise für Fragestellungen sein?

Sonja Visontai
Ich gehe mal davon aus, dass mich die Patient*innen, die Klient*innen zur Ernährung fragen. Und da muss ich ganz genau drauf schauen, wo sozusagen steht der Patient, die Klientin mit ihrem Wissen über die Erkrankung, die sie hat. Und je nachdem kann ich sie dort abholen. Das kann sein, dass ich sage Okay, ich muss vielleicht mal noch auf einen medizinischen Teil ein bisschen eingehen, dass ich vielleicht Informationen zum Erkrankungsbild per se geben muss. Es kann aber natürlich genauso sein, beispielsweise zur Lebensmittelauswahl. Ja, dass ich dann ganz genau sagen, welche Lebensmittel sind bei diesem Erkrankungsbild sinnvoll? Welche sind zu meiden? Beispielsweise kann das auch sein, dass ich dann Fragen zur Umsetzung bekomme. Oder: Ihr Vorschlag, wie kann ich das denn küchentechnisch umsetzen? Beispielsweise: Wie viel Fett oder wie wenig Fett verwende ich zur Zubereitung einer Speise? Oder, muss ich vielleicht gewisse Lebensmittel, die sie herkömmlich verwendet hat, gegen andere Lebensmittel austauschen, weil eben Lebensmitteln, bestimmte Lebensmittel im Rahmen einer Erkrankung nicht mehr verwendet werden sollen, weil das eben dem Heilungsprozess nicht förderlich wäre? Das kann aber genauso gut sein, dass es in der Informationsvermittlung darum geht, wenn es beispielsweise den Partner oder die Partnerin betrifft, wie die das umsetzen sollen, im beruflichen Alltag beispielsweise. Da gibt es ganz, ganz viele Facetten, auf die wir dann im Gespräch eingehen müssen.

Lisa Baumgartner
Also aktives Zuhören ist ganz wichtig in den Gesprächen. Gibt es da bestimmte Elemente, auf die ich in der Gesprächsführung besonders achten sollte?

Sonja Visontai
Das bedeutet also, dass ich wirklich so zuhöre, dass ich versuche zu verstehen, was der Patient, der Klient mir sagt, indem ich das Gesagte der Person immer wieder auch wiederhole und zusammenfasse und so der Person spiegle, was sie mir sagt. Und durch dieses Spiegeln die Person den Eindruck bekommt: Ja, die versteht mich, die Diätologin, mit der ich jetzt gerade rede, oder eigentlich meine ich ganz etwas Anderes. Und das macht gute Gesprächsqualität aus, um den Patienten dort abzuholen, wo er ist, in seinem Wissensstand und um auch eine gleiche Terminologie mit der Person zu bekommen. Weil, das ist ganz wichtig, dass beide Personen, die an diesem Gespräch beteiligt sind, von der gleichen Sache reden. Und da ist es natürlich die Aufgabe der Expertin, des Experten, nachzuhaken und eben durch wiederholtes Fragen und Spiegeln und noch einmal sagen - oder es gibt eine Technik, die nennt sich Chunk and Check - das heißt, ich gebe Information in kleinen Mengen und versuche es dann nochmal zusammenzufassen, falls es die Patientin, der Klient nicht verstanden hat. Also, da haben wir unterschiedliche Tools sozusagen, mit denen wir eben im Gespräch herausfinden können, ob wir verstanden werden und ob beide Seiten von der gleichen Sache sprechen.

Lisa Baumgartner
Weiteres Herzstück beim Erlernen der richtigen Gesprächsführung ist ja das Konzept der Agenda-Led Outcome-Based Analysis, ALOBA, was ist denn das Besondere dabei, für die die Diätologie?

Sonja Visontai
Also, ALOBA ist ein Konzept, um richtig Feedback geben zu können. Und das ist einfach wesentlich für Diätloginnen, für Diätologen, dass sie in Gesprächen punktgenau Feedback auf Fragen geben können, die von Klient*innen und Patient*innen gestellt werden. Dieses Konzept bietet eben Feedback auf unterschiedlichen Ebenen. Das heißt, man erlernt in diesem Lehrgang Feedback einerseits richtig anzunehmen, weil das eben aus unterschiedlichen Gesichtspunkten gegeben wird und andererseits aber auch lernt man, Feedback richtig zu geben. Feedback soll niemals wertend sein. Das soll immer beschreibend sein, neutral sein und niemals wertend. Und ich denke, das ist ein ganz wesentlicher Punkt, den unsere Studierenden auch erlernen müssen, dass man quasi neutral Feedback auf eine Sache gibt, die da jetzt vor uns liegt in einem Gespräch. Und Feedback soll man niemals persönlich nehmen, sondern wir sind eben in der beratenden Funktion und müssen das deskriptiv, beschreibend, aber niemals wertend geben. Aber auch wir müssen auch lernen, Feedback richtig annehmen zu können und das nicht persönlich zu nehmen, sondern es wirklich auf die Sache zu beziehen.

Lisa Baumgartner
Die Studierenden haben nach diesen Techniken eben auch schon üben können. Wie hat denn da das Setting ausgesehen?

Sonja Visontai
Wir hatten im letzten Sommersemester einen interdisziplinären Workshop mit den Physiotherapeuten. Und hier hatten wir Studierende aus beiden Studiengängen, damals noch, war es quasi das Ende des fünften Semesters, also zu Beginn des sechsten Semesters. Und, das war insofern für die Studierenden sehr wertvoll, als sie eben diese Interdisziplinarität kennen gelernt haben. Beide Studiengänge arbeiten natürlich nach einem Prozessmodell. Die Diätologie nach dem Diätologischen Prozessmodell, in der Physiotherapie gibt es einen physiotherapeutischen Prozess. Und obwohl diese Prozesse natürlich von der Struktur her, sage ich jetzt, ähnlich sind, sind aber die Berufsgruppen in dem, was sie in diesem Prozessmodell erheben, ganz unterschiedlich. Die Diätolog*innen, wir sprechen, wir haben als Intervention die Ernährungsberatung, die Ernährungstherapie. Die Physiotherapeut*innen, sage ich jetzt einmal, die greifen die Patient*innen an, die haben natürlich eine ganz andere Intervention als wir. Bei uns ist die Sprache, die Beratung natürlich im Vordergrund. Ja, das war für die Studierenden sehr, sehr spannend. Hier mal diese Unterschiede auch in einer Beratungssequenz kennen zu lernen und zu sehen, was macht die eine Berufsgruppe, was macht die andere Berufsgruppe und wo gibt es dann wieder Nahtstellen zwischen den zwei Berufen. Ja, und das hat es, glaube ich, für die Studierenden und auch für uns Lehrende, die das begleitet haben, sehr spannend gemacht.

Lisa Baumgartner
Welche Punkte sind Ihnen als Trainerin besonders wichtig und möchten Sie den Studierenden für eine gute Gesprächsführung, für eine gute Gesprächsleitung mitgeben?

Sonja Visontai
Also zunächst einmal, ich denke, ganz wichtig ist Üben, Üben, Üben. Ja, es ist noch kein Meister vom Meister vom Himmel gefallen. Das gilt für uns Lehrende, die das machen, genauso wie für die Studierenden. Je öfter man in solche Trainingssituationen kommt und das ist zunächst einmal eine Überwindung, beispielsweise einerseits einmal vor der Gruppe etwas zu präsentieren, das ist ja auch sehr häufig bei den Studierenden, oder auch mal per Video aufgezeichnet zu werden und sich das dann noch einmal anzuschauen und zu analysieren. Das ist immer aufregend. Oder beispielsweise so wie wir jetzt durch die die aktuelle Situation über Zoom sprechen. Das muss man auch einmal erst erlernen. Das ist eine andere Situation, als wenn ich Ihnen jetzt direkt gegenübersitzen würde. Also, das sind alles Tools, die erlernt werden müssen. Und je öfter man das macht, desto lockerer geht man wahrscheinlich damit um. Daher ist es ganz wesentlich, wenn es Möglichkeiten gibt, solche Beratungssequenzen zu üben, zu trainieren, diese Möglichkeit, dass an der FH unter Professionisten, die wir ja jetzt sind, das anzunehmen. Und unsere Studierenden, die das gemacht haben, haben gesagt, das hat ihnen unheimlich viel gebracht. Oder sie nehmen da unheimlich viel mit für das Praktikumssemester, für das neue, und das hat uns schon sehr gut getan als Trainerinnen aus diesem Trainerlehrgang, die das dann angeboten haben im Sommer.