Vielfalt – Kunstausstellung an der FH Campus Wien

Was ist uns die Artenvielfalt der Natur als Grundlage von Leben wert?

Vielfalt ist das wichtigste Arbeitsprinzip der Natur und bildet die Grundlage für nachhaltige Entwicklung. Dennoch beutet der Mensch die Erde aus. Globales Wachstum auf Kosten der Natur – wie gelingt der dringend notwendige Richtungswechsel? Dieser Frage geht die FH Campus Wien auch in einer öffentlich zugängigen Ausstellung mit Werken junger Künstler*innen nach. Günther Oberhollenzer, Kurator der Landesgalerie Niederösterreich in Krems und ab Oktober 2022 künstlerischer Leiter des Künstlerhaus Wien, unterstützt dabei die FH Campus Wien – ein Interview über Vielfalt, Kunst und Perspektiven.

Datum: 15.9.2022

Der Wert der Vielfalt – Kunstausstellung an der FH Campus Wien

Lisa Baumgartner
Herzlich willkommen bei neunmalklug. Lisa Baumgartner begrüßt Sie liebe Zuhörende! Und ich stellt gleich auch eine provokante Frage in den Raum: Wie viel ist sie Ihnen wert? Die Vielfalt. Also, ich rede jetzt von der biologischen Vielfalt. Die Natur mit ihren unzähligen Arten, Lebensräumen, Ökosystemen meine ich damit. Ja, das ist wohl eine der drängendsten Fragen unserer Zeit: der Erhalt der Vielfalt. Die FH Campus Wien beschäftigt sich mit Zukunftsfragen und stößt interdisziplinäre Diskussion an, und zwar auch im hauseigenen Ausstellungsbereich in der Favoritenstraße. Thema der aktuellen Ausstellung: Vielfalt. Junge Künstler*innen präsentieren hier ihre Sichtweisen und ein heutiger Gesprächspartner ist einer der Kurator*innen der Ausstellung Günther Oberhollenzer. Danke schön für Ihre Zeit heute. Sie sind ja Kunsthistoriker und Kurator der Landesgalerie Niederösterreich in Krems und Sie unterstützen mit Ihrer Expertise eben auch unsere Ausstellungen. Herr Oberhollenzer, wenn Sie an die biologische Vielfalt denken, welche Fragen bei der biologischen Vielfalt erscheinen Ihnen am essenziellsten?

Günther Oberhollenzer
Hallo, danke für die Einladung. Freue mich sehr heute hier zu sein. Und wenn es jetzt um Fragen geht, da tue ich mich manchmal ein bisschen schwer. Ich glaube, es geht mehr darum, einfach Bewusstsein zu schaffen, dass man einfach mehr auch die Achtsamkeit und dieses Gespür dafür bekommt, was eigentlich Vielfältigkeit, was zum Beispiel Biodiversität bedeutet. Und da habe ich oft den Eindruck, dass es da jetzt noch zu wenig Gespür dafür gibt. Also, wenn ich nur an die Insektenvielfalt denke, ich komme aus Südtirol, also ich komme vom Land, bin viel auf die Berge gegangen, dann könnte man dann sagen, ja, okay, wenn da ein paar von diesen Insekten nicht mehr da sind, ist vielleicht gar nicht so tragisch. Aber, ich denke, das ist dann doch sehr, sehr tragisch, denn diese Insekten sind dann Nahrungsmittel für Vögel, für kleinere Vögel, die wiederum sind dann Ernährungsquelle für größere Säugetiere und die brauchen dann wir wieder. Also, es ist alles, so glaube ich, miteinander so eng verbunden in einem unglaublich komplexen System, das wir oft nicht begreifen, erfassen können. Aber, wo wir uns bewusst sein müssen, glaube ich, dass auch der kleinste Teil davon und vielleicht das unwichtigste, uns so erscheinende unwichtigste Tier oder die unwichtigste Pflanze in dem so großen Ganzen eine ganz wichtige Funktion erfüllt. Und wenn das eine wegbricht, sich da ganz, ganz große Veränderungen ergeben, die sicherlich dann auch sehr bedenkliche Auswirkungen auf die Umwelt, auf die Natur, auf uns Menschen letztendlich haben werden.

Lisa Baumgartner
Sie haben gerade von der Vernetzung gesprochen, also alles ist miteinander vernetzt in der Natur. Gibt es auch eine Vernetzung zur Kunst? Welche Bedeutung hat denn die Vielfalt der Natur für die Kunst?

Günther Oberhollenzer
Eine unglaublich schwierige Frage, wo ich dann vielleicht hier das dann ein bisschen anders jetzt beantworten möchte, wie vielleicht erwartet wird in der Hinsicht, dass ich sage, die Natur ist ja natürlich, die Kunst ist eigentlich künstlich per Definition. Der Künstler, die Künstlerin - wir Menschen schaffen ja über die Kultur, über die künstlerische Gestaltung von Dingen etwas Künstliches, etwas nicht Naturhaftes. Das heißt, in dieser Hinsicht ist eigentlich die Natur, der Gegenpart, jetzt nicht polemisch gemeint, vom Menschen. Der Mensch eben reflektiert allerdings in Kunst und Kultur über seine Umwelt, über die Natur, über sein Sein, über alles und in der Hinsicht natürlich kann sicherlich die Kunst unglaublich dazu beitragen, dass wir eben, was ich bei der vorigen Frage schon angedeutet habe, dass wir ein Bewusstsein finden, ein Bewusstsein schaffen für Themen, für Probleme oder eben auch in der Hinsicht, zum Beispiel für Biodiversität, für Vielfältigkeit, was ja auch diese Ausstellung hier durchaus auch ein bisschen als Ansatz hat. Für Bewusstseinsschaffung kann Kunst sicherlich dienen, aber ich würde jetzt nicht unbedingt davon ausgehen, dass jetzt der Künstler, die Künstlerin unbedingt unmittelbar jetzt von der Natur lernt, sondern er lässt sich von ihr inspirieren.

Lisa Baumgartner
Sie haben auch einmal gesagt: "Kunst muss emotional berühren. Kunst ist immer ein heißes Eisen." Wie kann denn Kunst uns beim Lösen von Problemen helfen? Welche Rolle übernimmt da die zeitgenössische Kunst?

Günther Oberhollenzer
Eine unglaublich wichtige Rolle, so glaube ich, das ist natürlich der Grund, weshalb ich Kurator bin. Also ich bin schon jemand, der dieses Gefühl und dieses Bedürfnis hat und vielleicht auch die Illusion hat - Ich glaube nicht, dass es eine ist - dass Kunst mehr sein soll als wie nur ein paar schöne Bilder ansehen. Dass ich als Kurator eine wichtigere Aufgabe habe, wie nur eine schöne Ausstellung zu machen, wo man sich Werke ansieht. Das kann auch sehr beglückend sein. Aber ich sehe schon, durchaus in der Kunst auch ein großes Potenzial, bewusstseinsverändernd wirken zu können. Ich glaube, es ist natürlich vielleicht ein bisschen ein hoch gestecktes Ziel, aber den Anspruch habe ich schon, eben auch in der Kunst und in meiner Aufgabe als Kurator. Und für mich ist es natürlich unglaublich spannend, gerade in der zeitgenössischen Kunst tätig zu sein, weil ich eben hier mit den Künstler*innen dann in unmittelbaren Austausch treten kann, die sich mit den Themen, mit den Problemen, mit diesen großen Fragen unserer Zeit auseinandersetzen. Ich kann sie im Atelier besuchen, in diesem, wie ich es sage, in diesem Kraftfeld, in diesem kreativen und in ihre Welt eintauchen. Und da gibt es viele unterschiedliche Aspekte, die ich noch erzählen könnte. Vielleicht greife ich eine noch heraus. Ich bin sonst vorsichtig mit Zitieren von Kunsttheoretikern, aber ich mag eigentlich sehr gerne diesen Definitionsversuch von Niklas Luhmann, Systemtheoretiker, wie er die Kunst sieht. Er sagt eben, dass die Kunst eine Aufgabe haben kann, das Unbeobachtbare beobachtbar zu machen. Und das finde ich eigentlich einen sehr schönen Ansatz, dass die Kunst eine Art zweite Realität generiert, von der wir aus anderer Perspektive auf unsere Realität blicken, dadurch eine gewisse Distanzreflexivität an den Tag legen können und so eben auch Probleme, Themenstellungen, über die wir heute auch reden, von ganz einem anderen Blickpunkt betrachten. Und in der Hinsicht kann uns die Kunst selbst fremd machen. Das finde ich auch einen schönen Ansatz. Uns in unseren eigenen Vorstellungen dann irritieren, hinterfragen. Also wir müssen über die Kunst versuchen, uns immer auch neue Blickwinkel zu ermöglichen und müssen natürlich offen dem gegenüberstehen. Die Kunst ist sicherlich eine, die nicht Antworten gibt. Das finde ich auch immer ganz problematisch, wenn das von der Kunst erwartet wird. Aber sie stellt, so hoffe ich, die wichtigen Fragen.

Lisa Baumgartner
Also den Schritt zur Seite ermöglicht uns die Kunst?

Günther Oberhollenzer
Genau. Absolut.

Lisa Baumgartner
Als Kurator treffen Sie ja auch die gesellschaftlichen Entwicklungen ganz unmittelbar. Aktuell: Die Corona-Pandemie beeinflusst uns, die Fragen der Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz, also wie geht es jetzt mit unserem Planeten weiter? Welche Herausforderungen gilt es für Sie jetzt als Kurator zu bewältigen?

Günther Oberhollenzer
Das sind Herausforderungen, ganz unterschiedliche Natur. Es gibt natürlich ganz klassisch organisatorische Herausforderungen. Das haben in den letzten Jahren alle in allen Bereichen, natürlich auch im Kunst- und Kulturbereich bemerkt. In der Hinsicht, wenn Museen geschlossen sind, dann ist das natürlich sehr herausfordernd für uns, für unsere Tätigkeit. Stichwort Digitalisierung, Verlagerung von Angebot ins Netz, Verlagerung durch eben Möglichkeiten zumindest online per Website, Aspekte der Ausstellung, Aspekte von unserem Anliegen, die wir sonst in den Ausstellungen kommunizieren, zumindest auch da zu vermitteln, wo es tolle Möglichkeiten gibt, wo es einen enormen Schub gegeben hat - auf der einen Seite. Auf der anderen Seite, so glaube ich, hier dann erst dieses Bewusstsein dann noch stärker gereift ist, wie schön es eigentlich ist und wie wichtig - gerade auch, wenn man im klassischen musealen Kontext arbeitet, wie ich es tue - dann wieder die Menschen im analogen Raum zu begrüßen. Wie wichtig das auch für die Besucher*innen ist, wie ermüdend, wie schnell ermüdend immer auch solche digitalen Angebote sein können und wie freudvoll man dann wieder sich vor den Originalen dann hinbegibt und in der Gemeinschaft eben Ausstellungen genießt. Das ist sicherlich auch etwas, was uns sehr herausfordert, nach wie vor, Die Krise ist nicht überwunden und das ist, wenn man so will, ein organisatorischer Aspekt. Aber es gibt natürlich inhaltlich für mich schon dann in diesen Jahren Wichtiges, wo ich versuche, im kuratorischen Arbeiten solche Themenstellungen, die uns beschäftigen, dann auch in Ausstellungen umzusetzen. Mein Herzensprojekt, und das wird wahrscheinlich für viele Jahre jetzt bleiben, war 2020, das war gerade in der ersten Corona-Pandemiezeit, eine Ausstellung, die hat sich genannt, in der Landesgalerie Niederösterreich, "Spuren und Masken der Flucht", wo ich über 40 Künstler*innen gezeigt habe, von denen weit mehr als die Hälfte selbst Fluchterfahrungen mitgebracht haben in den Ausstellungsraum. Und dadurch, so hoffe ich, die Menschen auch über diese individuellen Fluchtgeschichten empathischer und mit ganz anderen Blickwinkeln sich diesen Themen genähert haben. Oder ich habe letztes Jahr im Künstlerhaus in Wien eine Ausstellung gemacht, die hat sich genannt "Kein Mensch ist eine Insel", das "K" Klammern gesetzt. Man kann es auch lesen "Ein Mensch ist eine Insel", wo es darum gegangen ist, Werke zu zeigen, die zum Teil durchaus vor der Corona-Krise entstanden sind, sich aber mit Vereinsamung, mit Existenzängsten auseinandergesetzt haben und durch die Pandemie eine ganz neue, noch einmal bedeutsamere Aufladung erfahren haben und plötzlich ganz anders noch einmal gesehen worden sind, fast zum Teil visionär. Und dann natürlich sind es Themen, um jetzt wieder auf unser Kernthema hier zu kommen, nämlich auf Stichwort Biodiversität, Umwelt, Nachhaltigkeit, dann sind das natürlich auch Themen, die in vielerlei Hinsicht einfließen. Also, wenn es jetzt um Nachhaltigkeit geht, kann man sagen, okay, das ist ein organisatorisches Thema, aber es ist natürlich ein inhaltliches Thema. Und organisatorisch ist es so, dass Gott sei Dank jetzt auch im musealen Kontext, sehr kurz erst - das ist wirklich erst seit wenigen Jahren der Fall - wahrgenommen wird, dass wir auch im Museum hier ganz, ganz großen Aufholbedarf haben. Also, dass wir in Museen uns lange Zeit um diese Fragen sehr wenig gekümmert haben, um es noch eher diplomatisch zu formulieren. Und dass das einfach so nicht mehr geht. Also, dass man hier schaut, und hier ist das Kunsthaus Wien zum Beispiel Vorreiter, was diese Aspekte der Nachhaltigkeit betrifft, dass auch schon das Österreichische Umweltzeichen hat, aber auch andere Museen Gott sei Dank hier nachziehen. Und sagen, auch wir etwa, ich bin im Kurator der Landesgalerie Niederösterreich, wir eben auf der Kunstmeile Krems hier eben auch einerseits das neue Museum, die Landesgalerie, hier wirklich nach nachhaltigen Kriterien gebaut haben, aber auf der anderen Seite eben auch schauen, dass eben der laufende Museumsbetrieb eben auch nachhaltig ist. Und da bin ich eben sehr, sehr neugierig, wie sich das auch in der Zukunft entwickeln wird in der Hinsicht, dass es im Moment natürlich schick ist, jetzt ein bisschen polemisch formuliert nachhaltig zu kommunizieren. Wir machen alles ganz toll nachhaltig und ich bin neugierig deshalb, ob das jetzt ein Strohfeuer ist, ob man auch wirklich den Mut hat, da eine Tiefe zu gehen und auch Geld in die Hand zu nehmen. Denn ich bringe jetzt ein, zwei Beispiele, wo ich das Gefühl habe, da wird es dann konkret und da wird man dann sehen, ob es funktioniert. Wenn ich jetzt einen Katalog produziere, ich habe ein sehr knappes Budget und ich habe den Anbieter A und ich habe den Anbieter B und Anbieter B produziert eben sehr nachhaltig und der Anbieter A eben nicht und der ist aber um ein paar 1.000 € günstiger, dann möchte ich eben sehen, ob dann wirklich gesagt wird, ich nehme den teuren Anbieter, weil das eben unsere Kriterien erfüllt. Und ich glaube, es ist nur dann möglich, das wäre so mein Vorschlag, wenn es ein eigenes Nachhaltigkeits-Budget gibt. Weil, wenn es aus den laufenden Budgets finanziert werden soll, kenne ich die Abläufe zu gut, dass die Budgets immer so knapp sind, dass es eben nicht funktioniert. Gleichzeitig glaube ich, ist es ganz wichtig, auch in unserem Ausstellungswesen thematisch uns mit diesen Dingen auseinanderzusetzen. Und ich glaube gerade eben auch Themen wie Natur und Umweltschutz sollen auch inhaltlich in Ausstellungen dann zum Tragen kommen. Aber da ist dann natürlich bei uns auch sehr stark die Frage, wie glaubwürdig sind wir als museale Institution? Weil, wenn wir solch eine Ausstellung machen, müssen wir dann schon auch schauen, dass die Rahmenbedingungen der Ausstellungen auch richtig sind. Weil wenn ich jetzt eine Ausstellung über Natur und Umweltschutz mache und dann womöglich die Künstler*innen mit einer Billigfluglinie einfliege und dann eben mit irgendwelchen nicht wiederverwendbaren Materialien ausstellungsarchitektonisch arbeite, dann wird es halt ein bisschen so, dass wir - wie sagt man richtig? - dass wir Wasser predigen und Wein trinken. Und das kann es auch dann wirklich nicht sein. Oder vielleicht noch ein letzter Punkt, den ich da mir denke, der auch nicht unwesentlich ist: Wie schaut es mit dem Sponsoring aus? Auch das ist für mich ein Nachhaltigkeitsaspekt. Wie gehen wir damit um, wenn wir jetzt von Sponsor*innen Unterstützung kriegen für die Museen? Sind wir hier auch so weit, dass wir so etwas wie einen Ethikkodex haben, dass wir uns nicht von allen möglichen Leuten sponsern lassen, die vielleicht zum Teil, ob es jetzt Fairpay ist, ob es jetzt Nachhaltigkeit ist, ob jetzt alle möglichen Dinge hier eine Rolle spielen bei manchen großen Konzernen, die wir eigentlich als Museum nicht vertreten können. Das heißt, ich glaube, da ist, wenn man mal anfängt, ein ganz, ganz, ganz großes und sehr spannendes Thema.

Lisa Baumgartner
Also die Verpackung und der Inhalt, das muss auf jeden Fall stimmig sein...

Günther Oberhollenzer
Das muss stimmig sein und auch das haben wir, glaube ich, lange zu wenig berücksichtigt. Also ich glaube, da ist noch sehr, sehr viel zu tun.

Lisa Baumgartner
Sie haben vorhin das Thema Digitalisierung angesprochen. Auf der einen Seite eben, dass die Digitalisierung uns neue Möglichkeiten gibt, Kunst zu rezipieren, aber natürlich auch auf der anderen Seite Kunst darzustellen. Wie schaut es aus mit der Digitalisierung und Kunst?

Günther Oberhollenzer
Es ist so Digitalisierung für mich manchmal ein Schlagwort, das mich ein bisschen deswegen ermüdet, weil wir leben in Zeiten der Schlagwörter. Und man muss natürlich ein solches Schlagwort mit Inhalten füllen. Und: Digitalisierung ist ja nur eine Technik. Also wenn der Inhalt schlecht ist, dann ist die Technik mir eigentlich ziemlich egal. Und das Problem ist oft, dass eben mehr oft von der Technik ausgegangen wird und dann über Inhalte gesprochen wird, die aus der Technik heraus sich entwickeln oder wo die Technik fast wichtiger ist. Das haben wir auch im musealen Kontext erlebt, wo es geheißen hat: Ihr müsst digital sein. Ich habe gesagt: Nein, wir haben Angebote, und wenn die sich anbieten, digital vermittelt zu werden, dann ist es wunderbar. Aber jetzt nur einfach digital als wichtigstes Schlagwort zu benennen, tue ich mich schwer. Und das ist natürlich auch in der Kunst so. Ich glaube, es ist hier sicherlich so, dass Digitalität auch bei den zeitgenössischen Künstler*innen eine große Rolle spielt, aber ich auch hier nicht diese heile Welt der Digitalisierung sehe, sondern ein Aspekt von ganz vielen Möglichkeiten, wie man mit Kunst umgeht. Und gleichzeitig bin ich natürlich als Kurator - und das finde ich ein Grundkriterium, das ich haben sollte - immer neugierig und offen, wenn etwas Neues kommt. Und wir sind hier, glaube ich, wirklich am Beginn erst, da behaupte ich wirklich, es ist der Beginn eines Umbruches, von dem wir noch nicht ansatzweise wissen, in welche Richtung es geht. Und wo auch die künstlerischen und kreativen Möglichkeiten im Moment nur höchstens erahnt werden können, wie spannend das durchaus auch sein kann, digital zu arbeiten. Und da bin ich halt der Meinung, da muss man jetzt eben aufpassen, was heißt digitale Kunst? Im Moment ist der Trend sehr, sehr stark, dass eben Künstler*innen analoge Werke, und das kann dann eine klassische Malerei sein, digitalisieren und zum Verkauf zum Beispiel auch in digitaler Form dann anbieten. Tue ich mir unglaublich schwer damit, weil das für mich ein Missverständnis ist, wie digitale Kunst funktioniert. Ich glaube, digitale Kunst ist dann spannend, wenn man eben zum Beispiel mit Augmented Reality, mit eben genau digitalen Möglichkeiten arbeitet, mit 3D Aspekten und die dann vielleicht dann wieder auch in den analogen Raum zurückgeholt werden. Da gibt es auch sehr schöne Wechselspiele, wo ich auch künstlerische Positionen kenne, die die digitale mit der analogen Welt unglaublich spannend und reizvoll und zukunftsweisend miteinander verbinden. Aber da, glaube ich, ist im Moment die Spreu definitiv vom Weizen noch nicht getrennt. Und das gilt natürlich auch, was im Moment oder in den letzten Jahren überall zu hören ist, für die sogenannten NFTs. Also NFT ist eben eine Möglichkeit im digitalen Raum Unikate zu erzeugen. Das Digitale ist ja eigentlich immer unendlich kopierbar, ist für den Kunstmarkt ein Problem, auch für die Künstler*innen. Und NFT ist eben eine Technik, es gibt eben dadurch die Möglichkeit, so eine Art digitales Zertifikat für ein Kunstwerk auszustellen, und ich kann als Künstler oder Künstlerin dann ein Werk eben im digitalen Raum als Unikat verkaufen. Da ist ein unglaublicher Hype entstanden in den letzten Jahren, wo unglaublich viel, entschuldigen Sie den Ausdruck, Schrott auch dabei ist, aber durchaus auch spannende Werke. Aber auch hier merkt man, da ist noch vieles in einem Prozess, wo es einfach noch nicht ganz stimmt und wo man noch nicht ganz weiß, in welche Richtung es geht. Und natürlich die Museen springen auf, ob es jetzt das Belvedere oder das Leopold Museum ist, die dann eben auch den Kuss eben digitalisieren oder den Schiele digitalisieren und dann eben zum Verkauf anbieten. Durchaus marketingtechnisch nachvollziehbar. Vom künstlerischen Aspekt finde ich das durchaus diskutabel bis sogar problematisch.

Lisa Baumgartner
Wenn wir jetzt die Vielfalt ein bisschen breiter sehen, also jetzt nicht nur die Diversität, die Biodiversität der Natur. Inwieweit ist Vielfalt denn für die Kunst ein essenzieller Baustein?

Günther Oberhollenzer
Ich glaube, wir leben heute in einer Zeit, wo die Kunst eine Vielfältigkeit erlebt wie noch nie in der Kunstgeschichte. Überhaupt noch nie. Deswegen finde ich gerade die aktuelle Gegenwart wunder-, wunderbar spannend für mich als Kurator. Und das meine ich jetzt in, sagen wir mal, drei Aspekten. Also es ist einerseits die Vielfalt der Medien, wir haben jetzt von digitaler Kunst gesprochen, aber natürlich gibt es die ganz klassischen Medien auch noch, und da ist eine Bandbreite da an künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, jetzt im 21. Jahrhundert, das hatten wir noch nie und das finde ich ungemein spannend. Dann ist es natürlich so, dass auch eine Vielfältigkeit in thematischen Stellungen da ist, wie ich es auch, glaube ich, in der Kunstgeschichte, wo wir jetzt einfach in dieser Post-Ismen Zeit sind, in der Post-Stile Zeit. Früher war es dann doch so, dass es einen - dann vielleicht fünf Stile gegeben hat, die dann die Kunst beherrscht hat. Da sind wir jetzt völlig drüber hinaus und es passiert einfach sehr, sehr vieles gleichzeitig und es ist, so glaube ich, eben heutzutage gleich legitim, l'art pour l'art zu sein, als ein wunderbar abstraktes Bild zu malen, wo ich sage, das Bild genügt sich völlig selbst. Und auf der anderen Seite natürlich ein, ein Werk zu schaffen, das einen sehr gesellschaftspolitischen Auftrag hat. Und ich als Kurator wäre der letzte, der sagt, nur das darf die Kunst. Ganz im Gegenteil, die Kunst darf hier sehr, sehr vieles. Und letztendlich ist es im Aufgabenbereich des Künstlers, der Künstlerin für sich zu entscheiden, welche Rolle die Kunst hier übernimmt. Und diese Vielfältigkeit, die wir hier haben, hatten wir noch nie. Und dann kommt jetzt seit einigen Jahren Gott sei Dank eben ein dritter Aspekt dazu, dass wir endlich versuchen, unseren eurozentristischen Blick auf die Kunst zumindest zu hinterfragen und hier auch neue Blickwinkel zuzulassen. Grundsätzlich diesen Ansatz, dass man sagt, man wendet sich unter Anführungszeichen - ich finde den Begriff ein bisschen schwierig - dem globalen Süden, dass man hier versucht, eben auch andere Hemisphären viel, viel stärker jetzt in die Kunstbetrachtung, den Kunstdiskurs mit einzubeziehen, eben jenseits dieses immer europäischen Blickes oder amerikanisch-europäischen Blickes, das finde ich ungemein spannend. Und natürlich, dass man auch endlich aufbricht, diese klassische, auch männlich dominierte Kunst, dass man verstärkt auf Diversität setzt, dass man hier verstärkt eben auch Künstlerinnen der Geschichte, also der Kunstgeschichte, aber auch der Gegenwart fördert, unterstützt, zeigt. Also ich glaube, auch hier in der Breite, wie Kunst rezipiert und eben gezeigt und gemacht wird, leben wir in unglaublich spannende Zeiten.

Lisa Baumgartner
Kommen wir noch einmal zurück zur Biodiversität. Was ist denn Ihr Wunsch? In welche Richtung sollten die nächsten Schritte für ein Umdenken im Sinne der Vielfalt gehen?

Günther Oberhollenzer
Das sind natürlich Fragen, die ich als Kurator schwer beantworten kann, weil ich hier nicht jemand sein möchte, der etwas proklamiert, wo er nicht Experte ist. Also ich bin, ich finde, heutzutage gibt es zu schnell Expert*innen für Themen, wo sie es eben nicht sind.

Lisa Baumgartner
Sie dürfen ruhig als „Günther Oberholzer“ antworten.

Günther Oberhollenzer
Ich glaube, da würde ich es ganz banal sagen, als ich glaube, wir müssen einfach mehr den Wissenschaftler*innen, den Expert*innen zuhören. Und hier bitte, bitte wieder mehr auch Respekt Menschen gegenüber bringen, die eben hier sich in dem Beruf, in ihrem Leben seit Jahren, Jahrzehnten diesen Themen widmen und die schon wissen, wovon sie reden. Ich glaube, das wäre für mich so eine auch generelle Antwort. Vielleicht, dass wir hier einfach mehr wieder die Fähigkeit erlernen sollten, jene Menschen zu vertrauen, die hier Fach-Menschen, Fachleute sind. Und die, glaube ich, haben hier schon ganz, ganz wichtig und zentrale Lösungsvorschläge. Und gleichzeitig glaube ich schon, dass jeder in seinem Bereich etwas tun kann. Und ich sehe gerade, dass für mich als Kurator, in unserem Bereich schon auch möglich, etwas zu tun. Also diese, diese Meinung, wir können nichts tun als Einzelperson, die teile ich in keinster Weise. Da können wir jetzt alles aufzählen, was man als einzelne Mensch machen kann. Aber vielleicht, bringe ich noch ein Beispiel, dass ich jetzt gerade mit einer Künstlerin zusammenarbeite bzw. einen Text über ihr Werk geschrieben habe, das ich unglaublich toll finde, wo die Künstlerin Leben und Kunst in einer faszinierenden Art und Weise verbindet. Das ist die Gabriele Oberkofler, ist eine Südtiroler Künstlerin, die in Stuttgart lebt, und die jetzt ein Saatgut Archiv angelegt hat. Die hat ein zweijähriges Forschungsprojekt gemacht, wo sie in ganz Europa unterwegs war. Sie wollte es weltweit machen, Corona hat das dann zunichte gemacht, sie musste sich auf Europa beschränken. Und Expert*innen und Bäuer*innen an unterschiedlichsten Orten getroffen hat und von ihnen eben seltene Sorten recherchiert hat bzw. sie dann um Saatgut von diesen seltenen Sorten gebeten hat. Und sie hat dann letztendlich 480 Samen zusammengetragen, vor allem von essbaren Wildkräutern, Tomaten, Kürbis und hat, wenn man so will, zu einer Art kollektives Saatgut Archiv angelegt, hat das dann in Ausstellungen gezeigt. Aber, was das spannend ist, dass wir eben hierbei eine Künstlerin haben, die nicht nur auf diesen reflexiven Bereich dann bleibt, sondern sagt, ich möchte etwas Konkretes machen. Und sie hat einen schönen Hof, eine Art Bauernhof, in Südtirol restauriert und da wird im Herbst ein Diskussionsraum für Forschung und Kunst eingerichtet werden und da möchte sie einen permanenten Garten anlegen mit diesen 480 verschiedenen Samen, also dieses Saatgut, dann auch wirklich pflanzen und dort eben dann Expert*innen, Künstler*innen und eben alle, die das interessiert, einladen, diesen Garten zu besuchen und dann diese verschiedenen, zum Teil fast schon verloren gegangenen Sorten dann wieder unter den Menschen bringen. Das heißt, ich glaube, das Schönste ist, wenn wir nicht nur in diesem theoretischen Diskurs bleiben, sondern versuchen, in unseren kleinen Welten, in der wir leben und so klein sind die vielleicht machen wir gar nicht, danach etwas Praktisches umzusetzen und alle sollten wir dazu beitragen, dass es wieder mehr Biodiversität gibt.

Lisa Baumgartner
Herzlichen Dank, Herr Oberholzer. Wenn Sie, liebe Zuhörende, jetzt neugierig geworden sind, wie junge, internationale und nationale Künstler*innen über die Vielfalt denken, dann lade ich Sie recht herzlich ein in den Ausstellungsbereich an der FH Campus Wien in der Favoriten Straße. Die Ausstellung ist bis in den Sommer 2023 öffentlich zugängig.